3 Technologie-Trends eröffnen im Zeitalter leerer Staatskassen neue Finanzierungswege für Infrastrukturprojekte
Weltweit ist die Nachfrage nach neuer Infrastruktur hoch – und zwar richtig hoch. Doch wo soll das erforderliche Kapital herkommen?
Bis 2020 will China die Verlegung eines 50.000 Kilometer langen HGZ-Schienennetzes für Hochgeschwindigkeitszüge abschließen. Bis 2030 müssen in den indischen Großstädten Wohnungen für 165 Millionen zusätzliche Einwohner gebaut werden. Bis 2040 müssen die Kapazitäten geschaffen werden, um einen um 4.400 GW gestiegenen weltweiten Stromverbrauch abzudecken. Angesichts dieser enormen Nachfrage prognostiziert der im November 2015 in London veröffentlichte Bericht „Global Construction 2030“ für die nächsten 15 Jahre einen Anstieg des globalen Bauvolumens um stolze 85 Prozent.
Die Befriedigung dieser Nachfrage stellt die Führungskräfte der in diesem Sektor tätigen Unternehmen vor ernsthafte Herausforderungen, wobei sicherlich eine Frage im Vordergrund steht: „Woher soll das Geld zur Finanzierung dieser ganzen Projekte kommen?“
Die Lücke zwischen ehrgeizigen Plänen und finanziellen Sachzwängen bei der Investition in infrastrukturelle Großprojekte ist kein Phänomen des 21. Jahrhunderts, neu ist jedoch die Dringlichkeit, mit der sich dieses Problem seit einigen Jahren stellt. Viele Staaten leiden immer noch unter den Folgen der globalen Finanzkrise und können ihre traditionelle Rolle als Geldgeber zur Gewährleistung einer adäquaten sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur nur noch unter großen Schwierigkeiten erfüllen. Auf staatlicher wie auf kommunaler Ebene sind allerorten die Kassen leer, zugleich fehlt die politische Bereitschaft, Steuern zu erhöhen oder Schuldengrenzen anzuheben. Die Folge: Für Großprojekte ist schlicht und einfach kein Geld da.
Wenn der öffentlichen Hand die Mittel ausgehen, muss der Privatsektor einspringen. Zur Sicherung der notwendigen Investitionen müssen jedoch die Bedenken der Anleger beschwichtigt werden. Dies wiederum erfordert ein realistisches Verständnis für die mit dem jeweiligen Projekt verbundenen Risiken und die zu erwartende Rendite sowie eine langfristige Planungssicherheit. Die Frage lautet also: Welchen Beitrag können neue Technologie-Trends zur Erhöhung des für die Finanzierung infrastruktureller Großprojekte verfügbaren Investitionsvolumens leisten? Dazu drei Prognosen:
1. Risikokontrolle. Vorhandene Infrastrukturvermögenswerte wie Brücken oder Tunnel mit einer bekannten und berechenbaren Leistungsbilanz stellen eine zunehmend beliebte Anlageklasse dar. Sie sichern Anlegern ein regelmäßiges und zuverlässiges Einkommen, während traditionell als sicher geltende Wertpapiere wie etwa Staatsanleihen schlechtere Renditen erzielen als je zuvor in der Geschichte der Finanzmärkte. Für Investitionen in neue Infrastrukturprojekte gilt dies jedoch nur bedingt. Angesichts unwägbarer Risiken bezüglich der Kosten, fristgerechten Fertigstellung und ungewissen Leistungsbilanz solcher Bauten halten sich viele potentielle Anleger lieber zurück.
Zum Glück hat sich Building Information Modeling (BIM) als probates Mittel erwiesen, neben Effizienzgewinnen auch zuverlässigere Prognosen über die zukünftige Leistungsbilanz eines Projekts erstellen zu können, wie der von McGraw Hill veröffentlichte Bericht „The Business Value of BIM for Infrastructure“ (PDF) bereits 2012 nachwies. 67 Prozent der befragten Nutzer hatten damals mit BIM eine positive Rendite erwirtschaften können. Sollten Anleger also Investitionen für die Finanzierung neuer Infrastruktur-Projekte davon abhängig machen, dass bei der Projektabwicklung mit BIM gearbeitet wird? Vieles spricht dafür.
Abgesehen von BIM gibt es andere Technologie-Trends – von der Verfügbarkeit unendlich großer Datenspeicher in der Cloud bis hin zur Verschmelzung der digitalen und physischen Wirklichkeit durch 3D-Erfassung und Augmented Reality –, mit deren Hilfe Bauunternehmer schon vor dem ersten Spatenstich die gesamte Projektabwicklung exakt kalkulieren können. Was folgt daraus? Das Baugewerbe befindet sich gerade im Übergang vom Zeitalter der „besten machbaren“ zur „bestmöglichen“ Projektabwicklung, bei der die Differenz zwischen geplanter und tatsächlicher Leistung gleich Null ist. Damit wird auch das Risiko für die Anleger drastisch reduziert.
2. Zuverlässige Abschätzung des Projektnutzens. Um Privatanleger für eine Beteiligung an der Finanzierung des Ausbaus der nationalen Infrastruktur zu gewinnen, muss ein Staat bereit und imstande sein, sich verbindlich zu einer entsprechend ambitionierten und langfristigen Infrastruktur-Planung zu verpflichten. Dabei ist eine Vielzahl wirtschaftlicher, sozialer, demographischer und ökologischer Faktoren zu berücksichtigen, die prognostiziert und kombiniert werden müssen.
Erschwerend hinzu kommen einerseits die politisch aufgeladene Debatte um den Umgang mit Steuergeldern, andererseits die Diskrepanz zwischen den fraglichen Zeithorizonten – Planer denken in Jahrzehnten, Politiker in Amtsperioden –, sodass die Erstellung glaubwürdiger Pläne für infrastrukturelle Großprojekte der sprichwörtlichen Quadratur des Kreises gleicht.
Die Konsequenz ist, dass die heutige Infrastruktur-Planung sich häufig im Wesentlichen auf Kosten/Nutzen-Rechnungen beläuft: Lohnt sich der Bau eines neuen U-Bahn-Systems zur Reduzierung der Fahrtdauer zwischen zwei zentralen Punkten in einem bestimmten städtischen Ballungsraum?
In naher Zukunft wird die Verfügbarkeit von riesigen Datenmengen (Stichwort „Big Data“), unendlich großen Datenspeichern in der Cloud, Spiel-Engines und 3D-Erfassung die Vorausberechnung potentieller Projekte mithilfe eines systemübergreifenden Ansatzes ermöglichen. Damit wird sich der Schwerpunkt von „Kosten/Nutzen“ auf „Ergebnisse und Wertschöpfung“ verlagern, sodass die Projektplanung von dem erwünschten Endergebnis ausgehend erfolgen kann: „Welche Kombination von Infrastrukturmaßnahmen ist am besten geeignet, das Wirtschaftswachstum in diesem Teil der Stadt anzukurbeln?“
Dabei könnte die oben erwähnte U-Bahn durchaus einen Teilaspekt bilden, der aber beispielsweise ergänzt würde durch den Bau von Gewerbezentren über jedem U-Bahnhof auf der Strecke, um die Reisewege zum Arbeitsplatz zu verkürzen. Oder auch Fahrradwege, öffentliche Anlagen und Einrichtungen, die zur Verbesserung der Lebensqualität der Arbeitnehmer beitragen. So können neue Technologien die Diskrepanz zwischen Planung und Ergebnis reduzieren und dadurch eine langfristige Projektpipeline gewährleisten, die Anlegern mehr Ertragssicherheit bietet.
3. Neue Finanzierungskonzepte. Ein bedeutender Prozentsatz der nationalen Infrastruktur-Projekte wird immer auf staatliche Förderung angewiesen sein – sei es aus Sicherheitsgründen, politischen Sachzwängen oder deshalb, weil bestimmte Projekte niemals ausreichende Renditen erzielen können, um sie für Privatanleger attraktiv zu machen. Hier bietet die Privatisierung des vorhandenen Infrastrukturvermögens eine Möglichkeit zur Freisetzung von Staatskapital, das dann in neue Projekte investiert werden kann.
Dazu ist es unbedingt erforderlich, den verbleibenden Zeitwert des betreffenden Vermögenswertes präzise berechnen zu können. Technologien wie Predictive Analytics, Fernerkundung (z. B. 3D-Erfassung) sowie Daten von IoT-Sensoren leisten hier wertvolle Unterstützung – beispielsweise durch Messung der Größe und Anzahl von Schlaglöchern, Aufzeichnung der Wartungsmuster und Prognose von Veränderungen im Verkehrsvolumen für eine spezifische Straße.
Schließlich gibt es noch die Möglichkeit alternativer Finanzierungswege. Weltweit spielen bei der Finanzierung von infrastrukturellen Großprojekten private Beteiligungsfonds, Rentenfonds und staatliche Investitionsfonds eine wachsende Rolle. Hinzu kommt neuerdings eine weitere Alternative, die ihre Entstehung ebenfalls den neuen technologischen Möglichkeiten verdankt: Crowdfunding.
Bands nutzen Crowdfunding zur Finanzierung ihres nächsten Albums, Erfinder zur Entwicklung neuer Produktideen bis zur Marktreife – warum sollte das gleiche Prinzip nicht auch auf Infrastruktur-Projekte anwendbar sein? Bei Großprojekten mit entsprechend hohen Kosten mag das nicht funktionieren, bei kleineren Projekten zur Finanzierung der sozialen Infrastruktur auf lokaler Ebene wäre es hingegen durchaus denkbar. Zum einen würde es zur Demokratisierung traditioneller Anlagemodelle beitragen, zum anderen böte es den Bürgern und Bürgerinnen vor Ort neue Chancen zur aktiven Teilnahme an der Planung und Bereitstellung ihrer sozialen Infrastruktur.
Wo nicht in ausreichendem Umfang in den Ausbau der Infrastruktur investiert wird, bleibt die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung auf der Strecke. Die Freisetzung des erforderlichen Kapitals zur Finanzierung zukünftiger Projekte ist eine Herausforderung, die dringend bewältigt werden muss. Die heute verfügbaren Technologien (allen voran BIM) bergen enormes Potential – die Technologie-Trends von morgen erst recht. Ob es gelingt, dieses Potential voll auszuschöpfen, wird jedoch voraussichtlich vor allem von der Bereitschaft der Entscheidungsträger in der Baubranche zu einem grundlegenden Umdenken abhängen. Nur wenn sie ihre Beziehung zur Technologie ändern und sie strategisch zur Förderung ihrer eigenen Interessen nutzen können, werden sie imstande sein, das eklatante Finanzierungsproblem mit Hilfe nicht-traditioneller oder gar radikal neuer Konzepte zu lösen.