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Fertigteilbauweisen: Wie geschaffen für Notbauten in Krisenzeiten

Die umgerechnet 920 Millionen Euro teure Revitalisierung des Women’s College Hospital in Toronto wurde einschließlich modularer Mehrzweckräume für Untersuchungen und Behandlungen innerhalb von fünf Jahren realisiert. In dem 2016 wiedereröffneten Krankenhaus befindet sich zurzeit auch ein Testzentrum für COVID-19-Verdachtsfälle.

Fertigteilbau und Systembau: Beide Verfahren sind prädestiniert für Notbauten in der Krise. Ob ganz oder teilweise vorgefertigt, hängt vom Zeitfenster ab.

Erinnern Sie sich an die Zeit, als sich die Corona-Pandemie noch ausschließlich im fernen China abzuspielen schien? Als der Ausbruch von COVID-19 in Wuhan seinen Höhepunkt erreichte, geisterten hierzulande Bilder einer fast surreal anmutenden Baustelle durch die Nachrichten. Das beeindruckende Ergebnis: In der Rekordzeit von nur zehn Tagen entstanden in Wuhan zwei Krankenhäuser in Stahlrahmenbauweise mit Betten für insgesamt 2.600 Patienten.

Der Fall zeigt, wie Fertigteilbauten dank ihrer kurzen Bauzeit nicht nur zur Bewältigung von Krisen, sondern auch zur Rettung von Menschenleben beitragen können. Mit der richtigen Technologie ist offenbar viel möglich. Allerdings ist Fertigbau nicht gleich Fertigbau. Welcher Ansatz am besten geeignet ist, hängt unter anderem vom jeweils verfügbaren Zeitrahmen ab.

In Krisenzeiten, wie sie beispielsweise durch Pandemien oder Naturkatastrophen ausgelöst werden können, bieten Fertigteilkonstruktionen gegenüber anderen Bauweisen schlagende Argumente. Das heißt aber noch lange nicht, dass komplexe und entsprechend sorgfältig durchgeplante Krankenhäuser mit hohen stationären Kapazitäten in zwei Wochen aus dem Boden gestampft werden können. Das bleibt mit Sicherheit noch eine Weile Zukunftsmusik.

Sofortlösungen im Notfall

Da der Bedarf an Krankenhausbetten in den letzten Monaten rasant gestiegen ist, sind die Verantwortlichen für das Krisenmanagement zum Teil auf Gebäude wie Hotels oder Wohnheime ausgewichen. Hier stehen neben den Räumlichkeiten und den Betten auch wesentliche Infrastrukturen zur Verfügung, die eine Voraussetzung für die medizinische Versorgung sind. Allerdings kann man die Gebäude nicht ohne weiteres umgestalten.

Betten in einem mobilen Sanitätszelt.
Betten in einem mobilen Sanitätszelt.

Ein weiterer Nachteil dieser spontanen Umnutzung: Die Gebäude sind nicht mobil. Sie stehen daher nur am Ort ihrer Errichtung zur Verfügung und lassen sich nicht an einen anderen Standort versetzen. Die baulichen Maßnahmen zur Umnutzung könnten verschwenderische Züge annehmen. Sobald der Bedarf an medizinischen Kapazitäten wieder sinkt, müssen die Räumlichkeiten wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt werden und der Innenausbau ist innerhalb kurzer Zeit erneut fällig.

Als weitere Sofortmaßnahme wurden in den Parkanlagen oder Sportarenen von Ballungszentren Feldlazarette errichtet. Die Gesundheitsorganisationen sind darauf eingerichtet, Sanitätszelte innerhalb von wenigen Tagen aufzustellen. Als typische Behelfsbauten sind sie jedoch nicht sehr dauerhaft und unwetterbedingten Einwirkungen nur begrenzt gewachsen.

Da sind containerbasierte Behelfslösungen und andere modulare Fertigteilgebäude schon deutlich robuster. Im Notfall erfüllen sie praktisch die gleichen Anforderungen und sind dabei dauerhafter. Ähnlich wie Zelte lassen sich modulare Gebäude sehr kurzfristig errichten und durchaus auch wiederverwenden. Sie können mühelos auf die genauen Anforderungen an ihre Nutzung abgestimmt werden – sei es auf die Betreuung von COVID-19-Patienten oder auf die Behandlung von Opfern nach einer schweren Umweltkatastrophe.

Systembau: 6 bis 12 Monate

In einigen Teilen der Welt ist zum Glück noch kein starker COVID-19-Ausbruch zu verzeichnen. Dieser könnte in den kommenden Monaten jedoch bevorstehen. Das stellt die politischen Entscheidungsträger vor die Aufgabe, mittelfristige Notlösungen zu entwickeln, um eine Überlastung der örtlichen Krankenhäuser zu vermeiden, sollte sich die Lage zuspitzen.

Hat man ein Zeitfenster von sechs bis zwölf Monaten zur Verfügung, ist man nicht mehr auf temporäre Behelfslösungen angewiesen – vorausgesetzt, es sind Fertigungsstätten vorhanden, die ihre Produktion entsprechend umstellen oder hochfahren könnten. Ein Beispiel ist das Unternehmen BLOX. Die Firma aus Bessemer im amerikanischen Alabama ist während der COVID-19-Krise voll ausgelastet, plant, baut und errichtet vor allem medizinische Systemgebäude und kann auch mobile Isolationsstationseinheiten vorfertigen. Andere Hersteller und Subunternehmen mit eigenen Fertigungsstätten sind in der Lage, ihre Produktion umzustellen. Anstelle von Teilen für modulare Hotel- oder Schulgebäude bzw. TGA-Baugruppen werden nun Raumzellen oder andere Bauteile für Krankenhäuser vorgefertigt.

Das Bauen mit vorgefertigten Elementen ist wie geschaffen, um damit kurz-, mittel- und langfristig auf Notsituationen zu reagieren. Allerdings muss die gewählte Lösung zum verfügbaren Zeitrahmen passen. Wenn Ihnen drei Jahre zum Bau eines neuen Bettenturms zur Verfügung stehen, sind Container nicht die richtige Wahl. Ebenso wenig sind die kleineren Werke, die sich auf die Fertigung räumlicher modularer Fertigteile spezialisiert haben, dafür geeignet, mit dieser Methode Großkrankenhäuser zu planen und zu errichten.

Ein Arbeiter fertigt auf dem Werksgelänge von BLOX in Bessemer (US-Bundesstaat Alabama) Raumzellen für medizinische Systembauten, die nach dem Baukastenprinzip funktionieren.
Ein Arbeiter fertigt auf dem Werksgelänge von BLOX in Bessemer (US-Bundesstaat Alabama) Raumzellen für medizinische Systembauten, die nach dem Baukastenprinzip funktionieren.

Fertigteilbau: 3 bis 5 Jahre

Die Planung und Errichtung mehrstöckiger Großkrankenhäuser mit tausenden Patientenzimmern nimmt normalerweise mehrere Jahre in Anspruch. Gerade aufgrund des großen Zeit- und Planungsaufwandes sollten Bauherren und Projektentwickler die ganze Palette an Möglichkeiten im Blick haben, die die Fertigteilbauweise bietet.

Generalunternehmer (GU) und Planungsbüros sollten eine integrierende Denkweise annehmen, ihre Entwürfe an einzelnen Elementen ausrichten und konsequent nach entsprechenden Prinzipien arbeiten. So hat sich die Methode „Design for Manufacturing and Assembly“ (DfMA) bewährt, die von vornherein darauf abzielt, die Gestaltung der Bauteile an die Fertigungsbedingungen der Projektpartner anzupassen, welche die Fertigteile später zuliefern. Der GU wird eine Vielzahl an Fertigteilen beschaffen und diese mit örtlich gefertigten Bauteilen zusammenführen müssen. Für die Vorfertigung abseits der Baustelle bieten sich modulare Versorgungseinheiten, Verteilerschränke, Badezimmerzellen, Betriebsräume, Maschinenräume und sogar Aufzugsysteme an.

Die Fertigung im Werk bringt enorme Zeitvorteile mit sich: Mit der Montage kann schon begonnen werden, wenn auf der Baustelle noch die Erdarbeiten laufen. Sie können punktgenau auf die Baustelle eines Krankenhausneu- oder Erweiterungsbaus geliefert werden. Auf diese Art können Bauzeitenpläne günstigstenfalls um Monate gestrafft werden.

Ein Bauhandwerker der in Boston ansässigen TGA-Fachfirma Cannistraro arbeitet fernab der Baustelle an einer vorgefertigten Rohrleitungsbaugruppe.
Ein Bauhandwerker der in Boston ansässigen TGA-Fachfirma Cannistraro arbeitet fernab der Baustelle an einer vorgefertigten Rohrleitungsbaugruppe.

Wenn wir die Subunternehmen dazu anregen können, ihre Fertigteilwerke zu stärken, entstehen in der Branche noch bessere Voraussetzungen für die weitere Entwicklung und Reifung des DfMA-Ansatzes und des Fertigteilbaus. Dadurch könnte die Bauweise für etablierte Unternehmen attraktiver werden. Auch durch eine Kombination mit anderen industrialisierten Bautechnologien wie Automatisierung und Digitalisierung könnten sie ihren Erfolg am Markt ausbauen oder sogar neue Werke gründen.

Vorgefertigte Bauteile bieten mehr Sauberkeit und Sicherheit

Besondere Vorteile bietet der Fertigteilbau bei der Planung und Errichtung von Bauwerken, die zu den kritischen Infrastrukturen zählen. Beim Bau von Krankenhäusern kann die Methode beispielsweise die Sicherheit, Hygiene und das Wohlbefinden der Patienten verbessern.

Das Team von Miller Electric entlädt Transformatormodule für ein Gebäude in Florida.
Das Team von Miller Electric entlädt Transformatormodule für ein Gebäude in Florida.

Neben den steigenden Wettbewerbsvorteilen, die die DfMA-Methode bietet, kann der Einsatz von vorgefertigten Bauteilen dazu beitragen, das Baugeschehen rund um Krankenhausgebäude gesundheitsfreundlicher zu gestalten und das Leben der Patienten weniger zu stören.

Im Rahmen der DfMA-Strategie wird die Planung außerdem bewusst in Richtung neuer Technologien gelenkt. So werden technologisch aufwendige Bereiche wie MRT-Untersuchungsräume oder Bestrahlungsräume für die Protonentherapie inzwischen vorzugsweise entkoppelt. Die Vorfertigung dieser Einheiten nimmt weniger Zeit in Anspruch, als wenn sie, wie vorher üblich, auf der Baustelle hergestellt werden. Damit stehen den Patienten diese wichtigen medizinischen Optionen schneller zur Verfügung und das Gesundheitswesen wird wirtschaftlich tragfähiger. Bei steigendem Bedarf lässt sich die Technologie skalieren oder an zukünftige Entwicklungen anpassen.

Fertigteilbau: Prädestiniert für Notbauten

Die DfMA-Methode und der Fertigteilbau bieten eine höhere Sicherheit in Bezug auf die Kosten, Ausführungsfristen und Leistungsbeschreibungen. Über diese Erwägungen hinaus ist es jedoch wichtig, den Krankenhausbau so gesundheitsfördernd wie möglich gestalten und die Patienten, Mitarbeiter und die Nachbarschaft mit allen Maßnahmen so wenig wie möglich belasten.

Die Fertigteilbauweise fördert daneben auch die Nachhaltigkeit der Branche. Gegenüber den örtlichen Baustellen sind die Fertigteilwerke sauberer und sicherer. Sämtliche Risiken lassen sich besser steuern. Sie verursachen weniger Beeinträchtigungen und Lärm als Baustellen. Die Bauweise bietet im Wettbewerb Vorteile, denn schließlich können Bauteile zeitgleich zu anderen Arbeiten auf der Baustelle hergestellt werden.

In den Werken kann man schnell wertvolle Erfahrungen sammeln, da dieselben Arbeiter verschiedene Aufträge gleichzeitig bearbeiten. Die Teams können etwas bei einem Auftrag lernen und es gleich beim nächsten Auftrag anwenden.

Ja, der Fertigteilbau bietet auch ohne Krise echte Wettbewerbsvorteile. Während der aktuellen Pandemie wird jedoch deutlich, dass damit wesentlich schneller auf die entstandenen Nöte reagiert werden kann. Dies trifft auf kleine Kleinstadtkrankenhäuser, die eine getrennte Raumlösung für die erwarteten COVID-19-Patienten brauchen, genauso zu wie auf urbane Großkrankenhäuser, die von heute auf morgen massiv ihre Bettenzahl aufstocken müssen. Die Fertigteilbranche bietet Architekten, Planern und Bauunternehmen leistungsstarke und smarte Lösungen, die dem Gemeinwesen gerade auch in Bedarfszeiten wichtige Spielräume verschaffen.

Über den Autor

Amy Marks leitet die globale Strategie von Symetri bei der Unterstützung von Kunden und internen Teams bei der Formulierung ihrer kollektiven Geschäftsvision und -ziele, einschließlich digitaler Transformation, Nachhaltigkeit, industrialisierter Bauweise und neuer und effizienter Arbeitsweisen.

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