E-Mobilität in den USA: Die Energiewende nimmt Fahrt auf
- Mit einem US-weiten Anteil von 28 % aller Treibhausgas-Emissionen zählt der Verkehrssektor zu den notorischen Klimasündern – die Biden-Regierung will mit weitreichenden Plänen zur Förderung der E-Mobilität gegensteuern
- Der Elektrifizierung des Straßenverkehrs stehen derzeit noch logistische Hindernisse wie der Mangel an zuverlässigen Ladepunkten sowie die schlechte Ökobilanz der Batterieherstellung und -entsorgung entgegen
- Zwei Start-ups haben sich dieser Herausforderung gestellt und vielversprechende Lösungen entwickelt: ChargerHelp! will mithilfe von Daten und speziell ausgebildeten Fachkräften die Zuverlässigkeit von Ladepunkten verbessern, und Nth Cycle unterstützt die kreislauffähige Nutzung und effiziente Rückgewinnung wertvoller Rohstoffe aus EV-Batterien
„Ich hoffe, dass wir innerhalb eines Jahres mit der Herstellung eines Elektroautos beginnen“, verhieß Henry Ford im Januar 1914 vollmundig gegenüber der New York Times. Die Ford Motor Company hatte 1908 das benzinbetriebene Modell T auf den Markt gebracht. Fords Freundschaft mit Thomas Edison brachte ihn dann auf den Gedanken der Popularisierung von Elektrofahrzeugen, die bereits seit dem 19. Jahrhundert auf dem Markt waren. Obwohl sogar Fords Frau Clara mit Vorliebe im Detroit Electric durch die Straßen tuckerte, setzte die Idee sich nicht durch, und Ford stand vor dem gleichen Problem wie heutige Autobauer: „eine Speicherbatterie von geringem Gewicht zu bauen, die für den Betrieb auf langen Strecken ohne Aufladen geeignet ist“. Über ein Jahrhundert nach Fords Versuch ist die Zeit der Elektroautos endgültig gekommen, und dank der Fortschritte in der Energie- und Materialtechnik stehen die langfristigen Erfolgsaussichten diesmal gut.
Die Klimafolgen menschlicher Aktivitäten haben längst einen kritischen Punkt überschritten. Mit 28 % der US-weiten Treibhausgasemissionen hat der Verkehr daran einen nicht unerheblichen Anteil. Ein durchschnittlicher Pkw stößt jedes Jahr 4,6 Tonnen CO2 in die Atmosphäre aus. Die Abkehr von fossilen Brennstoffen zugunsten von Elektroautos verspricht hier Hoffnung auf mehr Nachhaltigkeit in einem Sektor, der bislang zu den notorischen Klimasündern zählt. Die US-Regierung kündigte im April 2023 weitreichende Pläne zur Beschleunigung des Umstiegs auf Elektrofahrzeuge an, die von den Autoherstellern bereits in fieberhaftem Tempo produziert werden.
Auf dem Weg zur weitgehenden Elektrifizierung des Straßenverkehrs sind noch einige logistische Hürden zu überwinden. Erstens mangelt es vielerorts an zuverlässigen Ladestationen. Während das Verhältnis zwischen Ladepunkten und zugelassenen E-Fahrzeugen in einigen europäischen Ländern knapp unter 1:1 – in den Niederlanden gar darüber – liegt, kommen in den USA derzeit 25 E-Fahrzeuge auf jeden öffentlichen Ladepunkt, wobei die Mindestladezeit ca. 20 Minuten beträgt. Zum anderen werden die heute gängigen Modelle mit Lithium-Ionen-Batterien betrieben, deren Herstellung mit umweltschädlichen Abbauverfahren die Rohstoffvorkommen erschöpft. Diese Herausforderungen sehen vorausschauende Unternehmer und Innovatoren als Chance für einen grundlegenden Wandel in der Automobilindustrie, der die Masseneinführung von Elektroautos ein für alle Mal beschleunigen soll.
ChargerHelp! will durch zuverlässige Ladepunkte das Vertrauen in die E-Mobilität steigern
Eine Studie des Pew Research Center ergab, dass derzeit die Hälfte der US-amerikanischen Verbraucher dem Kauf eines Elektrofahrzeugs eher skeptisch gegenübersteht. Als Grund dafür wird u. a. die Ungewissheit genannt, ob und wo unterwegs Ladestationen zur Verfügung stehen. In den USA gibt es bis jetzt landesweit 141.000 Ladepunkte (gegenüber 168.000 Tankstellen mit jeweils sechs bis zwölf Zapfsäulen). Die Regierung investiert zwar in 500.000 weitere Ladepunkte mit einer Verfügbarkeit von 97 %. Eine aktuelle Studie der UC Berkeley ergab jedoch, dass selbst im Großraum San Francisco, einem Mekka für E-Fahrzeuge, 27 % der Ladepunkte nur unzureichend oder gar nicht funktionieren.
Die Gründerinnen von ChargerHelp!, Kameale Terry und Evette Ellis, zählen zu einer neuen Generation findiger Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich um innovative Lösungen zur Schließung dieser Versorgungslücken bemühen. „Bislang lag der Fokus vor allem auf der Herstellung, Bereitstellung und Installation“, meint Kianna Scott, Senior Vice President of Learning & Development bei dem Start-up. „Um den Betrieb und die Wartung nach der Installation hat sich niemand gekümmert.“
IMAGE
Im Rahmen des Ressorts „Work and Prosperity“ der Autodesk Foundation hat sich ChargerHelp! auf Reliability-as-a-Service (RaaS) für Ladepunkte spezialisiert. Konkret bedeutet das: ChargerHelp! stellt speziell ausgebildete Servicetechniker, sogenannte „Reliability Technicians“, sowie die proprietäre Empwr -App zur Unterstützung von Ladepunkt-Betreibern bereit, die einen Vertrag mit dem Unternehmen abgeschlossen haben. In den ersten drei Jahren seit der Gründung bearbeitete ChargerHelp! insgesamt 18.000 Support-Anfragen und erhielt dadurch einen umfassenden Einblick in die Ursachen für Geräteausfälle. „Aus den Daten geht eindeutig hervor, dass es sich in 96 % der Fälle um ein Softwareproblem handelt“, berichtet Scott. Diese Analysen trügen zur schnelleren Problembehebung und damit zur Realisierung der Zielvorgabe einer Verfügbarkeit von 97 % bei.
Diese Hightech-Außendiensteinsätze erfordern ein völlig neues Kompetenzprofil, für das die entsprechenden Fachkräfte erst noch ausgebildet werden müssen: „Dieser Job, der das Berufsbild des klassischen Servicetechnikers mit einer zukunftsweisenden Technologie kombiniert, ist quasi ein Sinnbild für den Übergang, den wir gerade miterleben. Man braucht immer noch einen Schraubenzieher, man braucht immer noch einen Drehmomentmesser und vielleicht auch ein Megamessgerät. Man muss trotzdem auch etwas von Software verstehen.“
ChargerHelp! ist in erster Linie ein Technologieunternehmen, das sich für mehr Nachhaltigkeit in der Automobilbranche einsetzt. Diese Positionierung konnte es erfolgreich als einzigartige Chance nutzen, Menschen für die grüne Wirtschaft zu qualifizieren. „Diese Energiewende setzt eine Wende auf dem Arbeitsmarkt voraus“, so Scott. „Da es keine vorhandenen Fachkräfte für Betrieb und Wartung der Ladepunkte gab, mussten wir Menschen ausbilden. Das war ursprünglich gar nicht vorgesehen, aber es hat sich als großartige Initiative erwiesen, die inzwischen eine wichtige Säule unserer Unternehmensphilosophie bildet.“ Zu dieser Philosophie gehört auch das ausdrückliche Bekenntnis zu Vielfalt und Inklusion in der eigenen Belegschaft. „ChargerHelp! wird von zwei afroamerikanischen Frauen aus Compton bzw. South Central L.A. geleitet – beides keine typischen Erfolgsschmieden für angehende Unternehmerinnen“, meint Scott.
In Zusammenarbeit mit Fort- und Weiterbildungsträgern bietet ChargerHelp! gezielt Umschulungsprogramme für Menschen an, die im Technologiesektor häufig unterrepräsentiert sind. ChargerHelp! hat einen innovativen Lehrplan entwickelt, der von der Society of Automotive Engineers (SAE) als Ausbildungsstandard übernommen wurde und auf eine zügige Vermittlung praxisbezogener Kompetenzen zur Unterstützung des flächendeckenden Umstiegs auf Elektroautos ausgelegt ist. Einen weiteren ausdrücklichen Schwerpunkt bildet die Förderung existenzsichernder Karrierechancen in der angestrebten nachhaltigen Zukunft.
„ChargerHelp! möchte auf jeden Fall weiterhin dazu beitragen, das Vertrauen in die neue Technologie zu stärken, ohne das die massenhafte Umstellung auf E-Fahrzeuge nicht möglich ist“, unterstreicht Scott. „Ebenso wichtig ist uns jedoch die Möglichkeit, Menschen durch Weiterbildungs- und Aufstiegschancen zu fördern und dazu zu befähigen, selbst einen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise zu leisten.“
Mehr Nachhaltigkeit, weniger Kompromisse: Nth Cycle ermöglicht kreislauffähiges Batterie-Recycling
Ökologische und gesellschaftliche Fortschritte gehen selten ohne Kompromisse ab – das gilt auch für die Elektrifizierung der Automobilbranche. Elektro-Fahrzeuge verursachen zwar deutlich weniger Treibhausgasemissionen als Verbrennungsmotoren, dafür wird zu ihrer Herstellung eine sehr viel höhere Menge an Mineralien benötigt als für herkömmliche Autos.
Für Lithium-Ionen-Batterien werden Lithium, Nickel, Kobalt, Mangan und Graphit benötigt. In den USA werden derzeit 95 % aller EV-Batterien am Ende ihres Lebenszyklus entsorgt – einschließlich der darin enthaltenen Metalle, deren Gesamtwert sich bis 2030 auf voraussichtlich über 18 Billiarden USD (17 Milliarden Euro) belaufen wird. Diese Schwachstellen sah das Start-up Nth Cycle als Chance, sich mit einer nachhaltigeren Alternative für die kreislauffähige Nutzung und effizientere Rückgewinnung von Rohstoffen in einem zukunftsfähigen Marktsegment zu etablieren.
„Nth Cycle hebt sich in zweifacher Hinsicht von herkömmlichen Batterie-Recyclern ab: erstens durch unser dezentrales Geschäftsmodell, das darin besteht, Partnerschaften einzugehen, um die Rohstoffe vor Ort rückzugewinnen. Zweitens haben wir ein optimiertes Verfahren zur Edelmetallscheidung entwickelt, das wir als ‚Electro-Extraction‘ bezeichnen“, so der Pressebeauftragte von Nth Cycle, Colin Mahoney. „Dadurch kann Nth Cycle in Zusammenarbeit mit den Bergbauunternehmen gewährleisten, dass Produkte mit höherem Reinheitsgrad auf den Markt kommen und die Umwelt weniger durch die Notwendigkeit, mehr und mehr zu produzieren, belastet wird. Außerdem schicken wir gebrauchte Materialien am Ende ihres Lebenszyklus nicht zur Verhüttung rund um die Welt, sondern stellen Recyclern eine hochgradig effiziente Lösung für die Rückgewinnung von Metallen im Inland bzw. in der eigenen Anlage bereit. In beiden Szenarien trägt unsere modulare Anlage, die Oyster, dazu bei, dass eine hohe Menge an Treibhausgasemissionen eingespart werden kann.“
Die Oyster ist auf die gezielte Rückgewinnung bestimmter Metalle aus Materialien wie Mobiltelefonen, Magneten und EV-Batterien ausgelegt. Die Kerntechnologie, die mit Autodesk Fusion entwickelt wurde, verbraucht nur Strom und Wasser, und ihre Raffinationsemissionen liegen um 92 % niedriger als beim herkömmlichen Bergbau und um 44 % niedriger als bei derzeit gängigen Recyclingverfahren. Neben dem eigenen Produktionszentrum in Fairfield im US-Bundesstaat Ohio stellt Nth Cycle auch ein kompaktes modulares System für die Rückgewinnung und Wiederaufbereitung bereit, das sich problemlos in der Anlage eines Batterieherstellers installieren lässt.
„Unser Geschäftsmodell sieht die Zusammenarbeit mit Bergbauunternehmen, Schrottrecyclern und OEMs vor, für die wir eine nachhaltige Lösung zur Unterstützung der Edelmetallscheidung bereitstellen wollen“, erläutert Gammon. „Unser innovatives Design zeichnet sich durch schnelle Verarbeitungszeiten, einen geringen Platzbedarf und eine hohe Rückgewinnungsquote aus, wobei wir uns auf minimalen Abfall und selbsterhaltende Verbrauchsmaterialien konzentrieren.“ Und es sorgt dafür, dass wertvolle Metalle nicht auf der Mülldeponie landen, sondern möglichst lange im Umlauf bleiben.
Mit seiner Erfindung hat Nth Cycle sich als US-weit erster Hersteller von MHP (mixed hydroxide precipitate) profiliert, einem Nickelprodukt, das zur Herstellung von EV-Batterien unverzichtbar ist. Während MHP aus Übersee einen uneinheitlichen Reinheitsgrad aufweist, erreicht Nth Cycle eine Nickelkonzentration von fast 90 %.
Eine zuverlässige MHP-Quelle im Inland gewährleistet eine robustere Lieferkette für den zu erwartenden Nachfrageboom. Dies ist auch im Interesse der US-Automobilhersteller. Der Inflation Reduction Act von 2022 verpflichtet sie, die Batteriekomponenten für Elektrofahrzeuge spätestens ab 2029 zu 100 % aus inländischen Quellen zu beziehen. Ohne die Technologie von Nth Cycle wäre diese Zielvorgabe kaum zu realisieren. „Je mehr einschlägige Vorschriften und Auflagen in Kraft treten und je mehr die Automobilbranche sich gezwungen sieht, ihre Metallversorgung zu sichern, desto stärker wird für sie die Notwendigkeit, Nth Cycle in ihre Kreislaufwirtschaft zu integrieren“, prognostiziert Gammon.
Über ein Jahrhundert nach Fords gescheitertem Vorstoß setzt die saubere Energiewende sich endlich auch in der Automobilbranche durch. Der Verkehrssektor spielt eine Schlüsselrolle bei der Realisierung globaler Nachhaltigkeitsziele und der Dekarbonisierung der Umwelt. Unternehmen wie Nth Cycle und ChargerHelp! ebnen den Weg in diese elektrifizierte Zukunft – und bilden die Arbeitskräfte aus, die sie sichern sollen.