Im Angesicht der Ewigkeit: Die „Clock of the Long Now“ soll das Zeitgefühl entschleunigen
Wir Menschen leben in der Gegenwart. Im beruflichen und privaten Alltag setzen wir uns zumeist Ziele und Aufgaben für die kommenden Tage und schmieden Pläne fürs nächste Wochenende. Längerfristig überlegen wir allenfalls, wie wir den Kindern das Studium finanzieren oder unseren Ruhestand finanziell absichern. Über die eigene Lebenszeit hinaus zu denken, fällt uns noch schwerer. Umso bewundernswerter ist daher die Weitsicht einer Gruppe von Wissenschaftlern, Ingenieuren, Designern und Philosophen, die sich seit mittlerweile über zwanzig Jahren Gedanken darüber machen, wie die Welt in 10.000 Jahren aussehen wird. Die Frucht ihrer Bemühungen, ein gigantischer Zeitmesser für die Ewigkeit, wird nun tief im Innern eines westtexanischen Bergs gebaut.
Die 150 Meter hohe mechanische „Uhr des langen Jetzt“ soll 10.000 Jahre lang genau einmal pro Jahr ticken. Sinn der Sache ist, ein Umdenken auszulösen, indem die Menschen veranlasst werden, sowohl ihr Zeitempfinden als auch ihr Bewusstsein für die eigene Bedeutung im Lebenskreislauf unseres Planeten grundsätzlich in Frage zu stellen. Die Clock of the Long Now repräsentiert eine Investition, die weit über die Lebenszeit eines einzelnen Menschen hinausgeht und damit aufzeigt, was es heißt, langfristig und nachhaltig zu planen und zu bauen: ein faszinierender Gedanke in unserem der Zerstreuung frönenden Zeitalter.
Die Idee dazu stammt von Danny Hillis, dem Gründer der Technologie- und Innovationsfirma Applied Invention und der gemeinnützigen Long Now Foundation, deren Vorsitz Hillis gemeinsam mit Stewart Brand vom Global Business Network führt. Auch Amazon-Chef Jeff Bezos hat als Sponsor und Eigentümer des Landstücks, auf dem die Uhr entsteht, seine Hand im Spiel.
Der Industriedesigner Alexander Rose, der heute als geschäftsführender Direktor der Stiftung mit der Leitung des Projekts betraut ist, stieß 1997 als erster Angestellter zu Long Now. Er selbst und seine Kollegen bevorzugen freilich die fünfstellige Zählung, die den herkömmlichen Zeitbegriff erweitern soll, und sprechen daher von 01997.
„Wenn man etwas bauen will, das 10.000 Jahre lang Bestand haben soll, müssen einige strategische Erwägungen bedacht werden. „Nur Objekte, die sich unter der Erde befinden, haben überhaupt eine Chance, so lange zu halten“, so Rose. „Wir wollten sowieso keinen Turm bauen, sondern etwas weniger Auffälliges, das möglicherweise verkannt, vergessen oder wiedergefunden wird. Wir wollten auch keine riesige Zielscheibe in die Landschaft stellen.“
Im Zuge der Planung der „Monumentalversion“ wurden mehrere Prototypen modelliert und gebaut. Zwei von ihnen werden heute öffentlich ausgestellt – die eine im Science Museum in London, die andere im Café und Museum The Interval am Sitz der Long Now Foundation in San Francisco.
Die Baukolonne hat bereits einen riesigen Stollen im texanischen Sierra-Diablo-Gebirge ausgehoben, in dem sowohl das Uhrwerk als auch die erforderlichen Zugangs- und Transportwege Platz haben. Die Uhr wird in mehreren Teilen gebaut, die einzeln in den Schacht hinabgelassen und in mühseliger Präzisionsarbeit zusammengesetzt werden.
Zur Modellierung und maschinellen Bearbeitung der einzelnen Bauteile nach detaillierten technischen Anforderungen wurden verschiedene Software-Programme eingesetzt. Dies war umso entscheidender, als quasi die gesamte Fertigung – von Bauteilen, die immerhin zehn Jahrtausende lang halten sollen – extern abgewickelt werden musste. Laut dem leitenden Projektingenieur Jascha Little war Inventor von Autodesk dabei fürs Grobe zuständig, während die Programme Fusion 360, HSMWorks Cam und PowerMill für kompliziertere Aufgaben wie die Feinbearbeitung der Oberflächen und Hochgeschwindigkeitsbearbeitung zum Einsatz kamen.
„Inventor hat eine Funktion zur Finite-Elemente-Analyse, mit der man Belastungen testen und die ausreichende Strapazierfähigkeit der Teile nachweisen kann. Einige der Stücke sind nämlich ziemlich schwer“, erläutert Little. „Früher hätte ich dazu Software von einem Drittanbieter hinzuziehen müssen. Bei Inventor ist alles integriert, das ist viel praktischer. Es vereinfacht definitiv das iterative Arbeiten. Man kann einfach im gleichen Programm von einer Maske zur anderen wechseln und die FEA-Funktion zu starten.“
Die Fertigung der Teile findet hauptsächlich an den Standorten von Applied Invention in Los Angeles bzw. Machinists Inc. in Seattle statt. Anschließend werden sie in der Nähe von San Francisco getestet, nach Texas transportiert und in den Schacht herabgelassen, wo die Uhr Schicht für Schicht montiert wird. Als Erstes wurden der Gewichtsantrieb, der Aufzug und das Gehwerk installiert.
Trotz der mit dem abgelegenen Standort verbundenen logistischen Herausforderungen erleichtert die Tiefe des Stollens die Platzierung schwerer Teile. Denn je länger das Seil, an dem ein schweres Gewicht herabgelassen wird, desto freier schwingt es und lässt sich dadurch einfacher positionieren als ein entsprechendes Teil mit geringerem Bewegungsspielraum.
Die größten Sorgen bereite ihm die Tatsache, dass die Teile vor dem Einbau lediglich extern getestet und montiert werden, so Little. „Ich bin jedoch ziemlich zuversichtlich, dass nur die kleineren Teile von allfälligen Fehlerbehebungen betroffen sein werden“, fügt er hinzu.
Wenn die Uhr einmal fertig ist (ein Terminziel wurde für den Abschluss der Bauarbeiten nicht gesetzt), soll sie nur zu Fuß zu erreichen sein. Wanderlustige Pilger können die Uhr aufziehen (der Restbedarf soll durch thermische Energie gedeckt werden) und den Gipfel besteigen, unter dem sie sich befindet. Ihre Schöpfer hegen die Hoffnung, dass die Menschen dieses Erlebnis auch in ein paar tausend Jahren noch als lehrreich und anregend empfinden werden. Hinweisschilder oder herkömmliche Informationstafeln soll es nicht geben – wer weiß schließlich schon, welche Medien die Menschen der Zukunft zur Kommunikation und Verständigung nutzen werden?
Jubiläen sollen am ersten, zehnten, hundertsten, tausendsten und zehntausendsten Jahrestag der Einweihung begangen werden. An Tagen, an denen die Uhr vollständig aufgezogen wird, sollen die Glocken eine Melodie spielen, die durch einen Algorithmus so abgewandelt wird, dass über den Zeitraum von 10.000 Jahren hinweg keine einzige Sequenz mehr als einmal gespielt wird. (Hörproben der von Brian Eno, dem Pionier der Avantgarde-Musik, der auch dem Vorstand der Long Now Foundation angehört, komponierten Suite von atmosphärischen Melodien sind im Internet hinterlegt.) Zu der Uhr gehört außerdem ein Orrery, ein mechanisches Modell, das den Umlauf der Planeten um die Sonne veranschaulicht.
„Viele reagieren auf dieses Projekt mit dem Kommentar, dass die Menschheit vermutlich keine 10.000 Jahre überleben wird. Wir sind jedoch eine ziemlich hartnäckige Gattung“, so Rose. „Der Klimawandel wird als Weltuntergang beschrieben. In Wirklichkeit geht es jedoch weniger darum, ob wir überleben, als vielmehr darum, wie wir überleben. Mit der Uhr wollen wir bezwecken, dass die Leute genau darüber nachdenken.“