Women4Climate: C40 fördert die Beteiligung der Frau an den Klimastrategien großer Städte
Moderne Städte basieren auf Entwürfen und Ideen, die heutigen Herausforderungen wie Bevölkerungswachstum, chronischem Verkehrsstau und Klimawandel um Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte vorausgehen – ganz zu schweigen davon, dass die Bedürfnisse von Frauen, ethnischen Minderheiten und älteren oder behinderten Mitbürgern in Abwesenheit universeller Gestaltungsgrundsätze bei jeglicher Stadtplanung lange Zeit weitestgehend außer Acht blieben.
Ein gutes Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Stadt Houston im US-Bundesstaat Texas, wo Hurrikan Harvey 2017 schwere Verwüstungen und massive Überflutungen anrichtete. Die Infrastruktur der Stadt stammte zu weiten Teilen aus einer Zeit vor der Ära der modernen Architektur und die Folgen der Katastrophen führten schlagartig vor Augen, dass die wenigsten Städte den verheerenden Wetterereignissen gewachsen sind, die infolge des Klimawandels vielerorts zunehmend häufiger auftreten. Besonders stark betroffen waren die bedürftigeren Bevölkerungsschichten der Stadt, die sich einer wesentlich höheren Hochwassergefahr ausgesetzt sahen.
Dass antiquierte Ideen und Denkweisen im Hinblick auf den Städtebau angesichts der bitteren Realität von heute nicht mehr tragbar sind, weiß auch Women4Climate. Die von Frauen geleitete Initiative ist Teil des Netzwerks C40, eines Zusammenschlusses von weltweit insgesamt 96 Städten mit dem Ziel, das Thema Klimawandel durch den gemeinsamen Austausch von Informationen und Technologie nachhaltig und in großem Maßstab anzugehen.
C40 und ähnliche Gruppen spielen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, das 2015 von 196 Vertragsparteien aus verschiedenen Mitgliedsländern und -staaten unterzeichnet wurde (die USA traten 2017 aus dem Vertrag aus). Das langfristige Ziel des Abkommens besteht darin, die durchschnittliche globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Auf kurzfristigere Sicht will die Initiative dazu beitragen, Städte auf wechselnde Wetterverhältnisse und drohende Klimaherausforderungen vorzubereiten.
„Der Klimawandel birgt erhebliche Risiken für Städte“, erklärt Silvia Marcon, Head of the Chair’s Office bei C40 Cities. „Die Gefahr reicht von Überschwemmungen bis hin zu Bränden. Extreme Klimaereignisse dieser Art nehmen Jahr für Jahr zu. Siebzig Prozent aller C40-Mitgliedsstädte mussten die schwerwiegenden Folgen des Klimawandels bereits am eigenen Leib erfahren. Insofern ist es überaus wichtig, Klimastrategien zukünftig an die Anforderungen unserer Städte anzupassen.“
Globale Innovationen für den Klimaschutz: Frauen schreiten zur Tat
Kurze Zeit, nachdem die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo 2016 zur Vorsitzenden des C40-Netzwerks ernannt wurde, rief sie die Initiative Women4Climate ins Leben. Die erklärte Mission der Initiative ist es, die nächste Generation weiblicher Führungskräfte dazu zu ermutigen, den dringenden Klimaherausforderungen dieses Jahrhunderts durch proaktive und bahnbrechende Lösungsansätze die Stirn zu bieten. Neben einer jährlichen Konferenz veranstaltet die Organisation in Zusammenarbeit mit Autodesk einen Wettbewerb für innovative Technologien und leitet ein weltweites Mentorenprogramm.
„Anne Hidalgo sieht das 21. Jahrhundert als das Jahrhundert der Frau“, erklärt Marcon. „Was die Rechte und Gleichberechtigung von Frauen angeht, hat es im Laufe der Zeit gewaltige Fortschritte gegeben. Daher rührt unser Interesse, uns als Frauen gemeinsam für eine neue und nachhaltigere Welt einzusetzen. Das will nicht heißen, dass wir uns gegen die Entscheidungen männlicher Bürgermeister auf lokaler Ebene auflehnen. Wir haben einfach erkannt, dass wir die Dinge in Zukunft anders angehen müssen.“
Wie Marcon zu verstehen gibt, gehe es den Mitgliedern von Women4Climate darum, die sich verändernden Bedürfnisse unserer Welt aus weiblicher Perspektive zu betrachten und Frauen dazu zu ermutigen, bestehende Ansätze zu hinterfragen, um Hürden zu überwinden und zur Entstehung einer besseren Zukunft beizutragen. „Wir sind der Auffassung, dass Klimagerechtigkeit und gesellschaftlicher Wandel nur dann möglich sind, wenn die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit involviert wird“, fährt sie fort. „Frauen bilden mehr als die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung und dennoch werden uns nach wie vor Steine in den Weg gelegt, wenn es darum geht, bei wichtigen Entscheidungen mitzureden. Wir sind der Meinung, dass man nicht für Klimagerechtigkeit plädieren kann, ohne sich gleichzeitig für Gerechtigkeit und Gleichheit in allen Bereichen stark zu machen. Beides muss Hand in Hand gehen.“
Die drei Eckpfeiler
Bei der Entwicklung innovativer Klimaschutzansätze vertraut Women4Climate maßgeblich auf drei zentrale Eckpfeiler: Betreuung, Forschung und Technologie.
So bietet die Organisation beispielsweise Mentorenprogramme an, bei denen sie als Vermittler zwischen jungen weiblichen Führungskräften und erfahrenen Mentoren fungiert, die die Frauen in laufende Projekte einbinden. „Wir möchten ihnen ermöglichen, ihr Potenzial optimal auszuschöpfen, und sie auf dem schnellsten Wege auf Erfolgskurs bringen. Es geht darum, ihnen über jene Hindernisse hinwegzuhelfen, denen man sich als Frau stellen muss, um sich in dieser von Männern regierten Welt Gehör zu verschaffen. So unterstützen wir sie dabei, Aufmerksamkeit für ihre Projekte zu erregen“, erklärt Marcon.
Die 10-monatige Betreuung durch Mentoren ist zurzeit Teil von sechs verschiedenen Programmen in sechs Städten – laut Women4Climate sollen 2019 und 2020 mit zusätzlichen Städten noch weitere Teilnahmegelegenheiten hinzukommen.
„Es ist wirklich interessant zu sehen, welche Entwicklung diese jungen Frauen in 10 Monaten durchmachen und wie sich ihr Selbstbewusstsein und ihre Kommunikationsfähigkeit verbessern. So gelingt es ihnen, sich immer schneller neue Chancen zu erarbeiten und dafür zu sorgen, dass ihre Projekte in kürzester Zeit Früchte tragen“, freut sich Marcon.
Der zweite Eckpfeiler – Forschung – soll zum einen die Bedeutung wissenschaftlicher Belege und Fallstudien für die Untersuchung der Auswirkungen des Klimawandels hervorheben. Zum anderen dient er jedoch auch dazu, das Bewusstsein für den Bedarf an neu überdachten, umfangreicheren Klimastrategien zu schärfen und zu gewährleisten, dass diese in Zukunft unter anderem auch eine geschlechtergerechte Komponente umfassen.
Am 12. September 2018 organisierte C40 im Rahmen des Global Climate Action Summit in San Francisco unter dem Titel „Cities4Climate: The Future is Us“ ein halbtägiges Event, das Bürgermeister, Innovationsführer und bedeutende Technologiegrößen unter einem Dach vereinte. Lynelle Cameron, Vice President of Sustainability bei Autodesk sowie CEO der Autodesk Foundation, moderierte die Diskussionsrunde „Spotlight on Women4Climate“, die das sprichwörtliche Scheinwerferlicht auf die wichtige Rolle der Frau bei der Leitung und Förderung richtungsweisender Offensiven im Kampf gegen den Klimawandel richtete.
Ein weiterer Höhepunkt der Veranstaltung war die Enthüllung der ersten im Auftrag von Women4Climate durchgeführten Fallstudie durch Sprecher der Stadt San Francisco. Die Studie, welche die Probleme von Radfahrerinnen in San Francisco unter die Lupe nimmt, unterstreicht die Notwendigkeit, Klimastrategien unter Berücksichtigung der Geschlechtergleichstellung sowie der sozialen Inklusion im Allgemeinen zu überdenken. Sie ist eine von insgesamt sechs Fallstudien, die sich damit befassen, wie Städte geschlechtergerechte Klimastrategien entwickeln und umsetzen können.
Im Rahmen eines zuvor durchgeführten Cities4Climate-Workshops hatten in diversen Führungspositionen tätige Vertreterinnen und Vertreter der am Gipfeltreffen teilnehmenden Städte bereits die Gelegenheit, Maßnahmen zur Entwicklung einer gemeinsamen Innovationsstrategie für Städte zu besprechen, bei der die Rolle der Frau im Fokus stehen soll. Besonders hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang der dritte Eckpfeiler von Women4Climate, der die Widerstandsfähigkeit von Städten begünstigen soll: Technologie. Wie Marcon betont, sei Houston ein perfektes Beispiel dafür, weshalb Städte gut daran täten, geeignete Lösungen zu implementieren, um sich für die Zukunft zu rüsten und widerstandsfähiger zu werden.
„Widerstandsfähigkeit bedeutet, dass eine Stadt in der Lage ist, Herausforderungen jeder Art zu meistern und sich entsprechend anzupassen“, erläutert sie. „Die Klimastrategien von Städten müssen unbedingt zukunftsfähiger werden. Technologie, Simulation und Planung spielen dabei eine entscheidende Rolle, da die Analyse modellhafter Extremsituationen es ermöglicht, die wichtigsten Maßnahmen zu identifizieren und zu planen.“
Um die Rolle der Technologie als unentbehrliche Voraussetzung für zukunftssichere Klimastrategien zu untermauern, hat Women4Climate einen Wettbewerb für innovative Erfinderinnen ausgeschrieben.
Auf der Suche nach Frauen mit innovativen Ideen
Während des Events auf dem Global Climate Action Summit rief das C40-Netzwerk die Women4Climate Tech Challenge ins Leben, einen internationalen Wettbewerb, der ausschließlich Frauen vorbehalten ist. Gesucht werden innovative Technologiekonzepte zur Lösung von Problemen in Zusammenhang mit dem Klimawandel. In erster Linie erhofft sich C40, mithilfe der Tech Challenge neuartigen Lösungen den nötigen Aufschwung zu verleihen, die Rolle engagierter Erfinderinnen im Klimasektor zu stärken und Gelegenheiten zu bieten, Technologien in ausgewählten C40-Städten auf die Probe zu stellen und dauerhaft zu implementieren.
„Für Start-ups oder Leute mit innovativen Ideen ist es nicht immer leicht, sich mit den relevanten Behörden in Verbindung zu setzen und ihre Erfindungen in der Praxis auszutesten“, meint Marcon. „Unsere Rolle könnte also darin bestehen, alle Akteure, Bürgermeister und Stadtverwaltungen, die das Thema Klimawandel in Angriff nehmen wollen, auf jene großartigen Frauen aufmerksam zu machen, deren Projekte in Städten zur Entwicklung geeigneter Klimaschutzmaßnahmen beitragen könnten.“
Ziel, so Marcon, sei es, innovativen Köpfen bei der Umsetzung ihrer Projekte unter die Arme zu greifen, um diese anschließend in größerem Maßstab in Städten rund um den Globus zu implementieren, in denen der Klimawandel eine Bedrohung darstelle.
„Weltweit ergreifen Städte – allen voran Megastädte – die Initiative“, so Marcon. „Anne Hidalgo betont dabei immer wieder die Bedeutung von ,Flexibilität’. Städte und Unternehmen sind flexibel: Im Vergleich zu Ländern oder Staaten besitzen sie eine größere Anpassungsfähigkeit, von der sie Gebrauch machen können und sollten, da sie tagtäglich mit ihren Bürgern in Kontakt stehen. Und wenn man der Bedrohung jeden Tag ins Auge sehen muss, kann man nicht einfach jahrelang warten.“