„Technologie bereichert die Architektur“ – im Gespräch mit Klaas de Rycke von Bollinger + Grohmann
Der Architekt und Bauingenieur Klaas de Rycke ist geschäftsführender Partner am Pariser Standort des deutschen Planungsbüros Bollinger + Grohmann Ingenieure. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Frankfurt am Main ist auf Tragwerksplanung, Fassaden- und Oberlichtkonzepte und komplexe Bauwerke spezialisiert. Klaas de Rycke spricht mit Redshift über neue Technologien wie KI und 3D-Druck und inwiefern sie die Arbeit der Architekten gestalten wird.
Redshift: Welche Veränderungen in Bezug auf Planung und Fertigung sehen Sie bedingt durch Innovationen und neue Technologien auf Ihren Sektor zukommen?
Klaas de Rycke: Die roboter- und computergestützte Fertigung und Maßanfertigung gewinnt in unserem Beruf zunehmend an Relevanz. Durch laufende Innovation werden sich diese Arbeitsabläufe künftig noch weiter beschleunigen lassen.
Nehmen wir einmal das Beispiel sphärisch gebogener Verglasungen. Bei einem Bauprojekt mit Peter Cook mussten wir 1998 noch mit CNC-gefrästem Plexiglas arbeiten, weil es damals mit Glas in der erforderlichen Scheibengröße einfach nicht machbar gewesen wäre.
Inzwischen verwenden wir Biegeformen und bauen damit ganze Fassaden aus sphärisch gebogenem Glas. Ich bin überzeugt, dass der Fortschritt auf dem Gebiet der Werkstoffforschung die Möglichkeiten zur kundenspezifischen Maßanfertigung – und damit unserer Arbeit insgesamt – in Zukunft entscheidend erweitern wird.
Ich selbst habe am Bau zahlreicher sehr komplexer Holzhäuser mitgearbeitet und dabei festgestellt, dass Holzbauunternehmen schon seit jeher roboter- und softwaregestützt arbeiten, sodass vom Projektbeginn an alle Parameter anpassbar sind. Zugleich werden die vorgelagerten Arbeitsschritte dadurch besser steuerbar. Für uns bedeutet das, dass wir bei der Planung wieder enger mit der Fertigung zusammenarbeiten, nachdem diese Zusammenarbeit im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zunehmend an Bedeutung verloren hat.
Diese engere Zusammenarbeit zwischen Ingenieurwesen und Fertigung zeigt sich auch bei der Entwicklung des Fertigbaus, und zwar vor allem des Holzfertigbaus. Für beide Fachrichtungen stellt sie sowohl in menschlicher als auch in technischer Hinsicht eine Bereicherung dar.
Inwieweit hat sich Ihre eigene Tätigkeit im Laufe der Jahre verändert?
Seit meinem Berufseinstieg 2002 hat sich die Arbeit mit rechnergestützten Werkzeugen allgemein durchgesetzt. Heute können alle, insbesondere der Nachwuchs, mit Bauplänen in 3D arbeiten.
Ich erinnere mich, wie wir vor etwa fünfzehn Jahren am Bau eines großen Museums in Frankreich beteiligt waren. Damals verfügten die meisten Unternehmen noch nicht über die technische Ausstattung für 3D. Teilweise haben wir sogar noch Hunderte von Seiten per Fax zugeschickt bekommen!
Der Entwicklungsschritt für die bauausführenden und produzierenden Unternehmen ist weitaus größer als für Architekten und Planer.
Welche Werkzeuge, Technologien oder Innovationen haben sich am stärksten auf Ihren Sektor ausgewirkt?
Die Leistung jedes beliebigen Desktopcomputers ist heute um hundert Prozent höher als noch vor zehn Jahren. Die Rechenkapazitäten unserer Computer und Server haben sich in beeindruckender Weise verbessert. Dadurch wird es möglich, Software-Programme mit eingebauter Intelligenz zu entwickeln, die gerade bei der Objekterkennung immer leistungsstärker und präziser arbeiten.
Wie hat sich die Branchenkonvergenz auf Ihr Unternehmen ausgewirkt?
Die Cloud hat völlig neuartige Möglichkeiten zur gemeinsamen Arbeit mit Dateien eröffnet. Dass heute alle Projektbeteiligten die gleiche Software verwenden, ist ebenfalls eine Neuerung, die sich erst in den letzten zehn Jahren durchgesetzt hat. So werden BIM-Modelle sowohl beim Erstellen der Baupläne als auch zur Berechnung des Tragwerks und der thermischen Eigenschaften sowie zur Koordinierung auf der Baustelle genutzt und decken somit nahezu sämtliche Etappen von der Planung bis zur Ausführung ab.
Wie werden sich die Berufsbilder in Ihrem Sektor durch neue Technologien verändern?
Tiefgreifende Veränderungen, die noch über das bisher Erreichte hinausgehen, verspreche ich mir vor allem von der Weiterentwicklung des 3D-Drucks. Der Trend hin zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen Planern und Bautechnikern wird sich rasant verstärken.
Außerdem erhoffe ich mir, dass der technische Fortschritt zukünftig – unter Verwendung der heute gängigen Werkstoffe – die Fertigung von Formen und Objekten ermöglichen wird, die derzeit noch nicht mit dem gewünschten Grad an Präzision möglich sind.
Aktuell verwenden wir zur Effizienzoptimierung genetische Algorithmen, die in der KI-Forschung als „schwache Intelligenz“ bezeichnet werden. Gleichzeitig arbeiten wir an der Entwicklung von Algorithmen auf Basis neuronaler Netze, um die Bedienerschnittstellen unserer digitalen Werkzeuge weiter zu verbessern. Mithilfe Künstlicher Intelligenz lassen sich komplexe Arbeitsabläufe automatisieren. In diesem Zusammenhang müssen auch die Mensch-Maschine-Schnittstellen neu konzipiert werden.
Welche Jobs werden in Ihrem Unternehmen neu entstehen?
Eine Idee, die immer wieder aufkommt, ist die Einrichtung einer betriebseigenen Fertigungswerkstatt, um gewissermaßen die Bautechnik wieder ins Planungsbüro „heimzuholen“. Noch in den 1950er-Jahren testeten Leute wie Frei Otto (der mit dem Pritzker-Preis gekrönte Architekt des Zeltdachs über dem Münchner Olympiagelände) ihre Entwürfe in eigenen Werkstätten aus. Im Idealfall muss man als Ingenieur zugleich Tester und Tüftler sein – eine Art Mischung aus Daniel Düsentrieb und Q aus den Bond-Filmen! (lacht)
Wie wird Ihrer Meinung nach die Zukunft Ihres Sektors in 25, 50 oder auch 100 Jahren aussehen?
Wenn es gelingt, das entsprechende Wissen allgemein zugänglich zu machen, kommen 08/15-Projekte bald ohne Ingenieure aus. Software-Programme arbeiten dann mit integrierter Künstlicher Intelligenz. Fertigbau wird zur gängigen Praxis und die Arbeitsabläufe beschleunigen sich damit weiter. Infolgedessen orientieren sich die Ingenieure der Zukunft zunehmend in Richtung Architektur, aber auch – wie bereits erwähnt – in Richtung Fertigungstechnik. Ich lehre an der Bartlett School of Architecture am University College, und dort gibt es bereits ein Dreifachdiplom in den Fächern Architektur, Bau- und Umweltingenieurwesen.
Welche Entwicklungen im Planungs- und Bauwesen verfolgen Sie mit besonderer Spannung?
Ich würde sagen: das Know-how für mein Endprodukt. Das Bewusstsein, sämtliche Abläufe selbst in der Hand zu haben. Ein besserer Informationsaustausch wird allen Projektbeteiligten die Arbeit erleichtern. Die Werkzeuge, die derzeit bereits in der Entwicklung sind, ermöglichen uns in naher Zukunft – so hoffe ich zumindest – eine lückenlose Einflussnahme auf Form- und Materialgestaltung.
Autodesk ist Partner vom Wissenschaftsjahr 2019 mit dem Fokus auf Künstliche Intelligenz (KI) und unterstützt damit die Initiative der Bundesregierung, den Blick für die Chancen in KI zu schärfen sowie die Herausforderungen dieses neuen Technologietrends zu thematisieren.