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4 Erkenntnisse aus der Einführung der BIM-Pflicht im Vereinigten Königreich

Das komplexe Bahnprojekt Ordsall Chord im englischen Manchester: Zur Untersuchung der Wechselbeziehungen zwischen neu geplanten und vorhandenen Strukturen setzte Mott MacDonald auf BIM. Mit freundlicher Genehmigung von Matthew Nichol/Mott MacDonald.

Große Ausbaupläne – große Herausforderungen: Für die neu geplante dritte Start- und Landebahn hatte Heathrow Airport der britischen Flughafenkommission ein Gesamtkonzept vorzulegen. Die kolossale Planungsaufgabe wurde einem eigens geschaffenen „integrierten Planungsteam“ (iPT) anvertraut. Als Mitglied des iPT stand das weltweit agierende Ingenieurunternehmen Mott MacDonald mit Sitz in London vor einer an Komplexität kaum zu überbietenden Entscheidungsmatrix: Wo soll die Bahn verlaufen, wie wird sie funktionieren und wie sind die Auswirkungen auf die umliegenden Ortschaften, Verkehrssysteme und Gewässer zu bewerten? Die Lehren aus dieser Aufgabe gibt Mott MacDonald an dieser Stelle weiter.

Vielschichtige Planungsaufgaben wie diese sind wie geschaffen für eine Technologie, mit der sich riesige Datenmengen schnell verarbeiten und Planungsoptionen kurzerhand vergleichen lassen. So entstehen besonders hochwertige Planungsprodukte. Die Probleme, die sich bisher bei komplexen Projekten einstellten – darunter Ineffizienz und Planungsfehler – gaben Anlass für das 2011 von der britischen Regierung auf den Weg gebrachte sogenannte BIM-Mandat. Dies sieht vor, dass bei allen öffentlich finanzierten Infrastrukturvorhaben von Straßen- und Schienenverkehrsprojekten bis hin zu Schulen und Krankenhäusern kollaboratives BIM (Building Information Modelling) verpflichtend als Planungsmethode einzusetzen ist.

Mitarbeiter von Mott MacDonald mit Mitgliedern der örtlichen Delegation auf einem BIM-Workshop in Mexiko. Mit freundlicher Genehmigung von Mott MacDonald.
Mitarbeiter von Mott MacDonald mit Mitgliedern der örtlichen Delegation auf einem BIM-Workshop in Mexiko. Mit freundlicher Genehmigung von Mott MacDonald.

Dieser staatliche Vorstoß war der erste dieser Art. Erst ein knappes Jahrzehnt später folgten wichtige internationale Standards – Wegbereiter für die weitere Entwicklung von BIM über die nationalen Grenzen hinaus. Andy Moulds, Leiter der Abteilung für Informationsmanagementberatung bei der Mott MacDonald Smart Infrastructure Group, gibt Einblick in Projekte, die nach den neuen Regelungen der BIM-Pflicht abgewickelt wurden. Er hat praktische Ratschläge für Unternehmen, die auf BIM umstellen möchten.

1. Begriffsbestimmungen begreifen – Erwartungen genau erfüllen

Mit Inkrafttreten von „BIM-Stufe 2“ am 4. April 2016 sollten CO2-Emissionen reduziert und die Kosten von öffentlichen Gebäuden im Vereinigten Königreich um 20 % gesenkt werden. Die Vorschriften legen auch fest, wie informationshaltige 3D-Modelle und nicht-grafische Daten im gesamten Projektlebenszyklus zu erstellen, zu teilen und zu verwalten sind.

Um die Anforderungen auf BIM-Stufe 2 zu erfüllen, muss man zunächst verstehen, was die Richtlinien vorgeben – und wie sich die Begriffsbestimmungen verändern. Moulds zufolge war die Britische Norm BS 1192 in den vergangenen acht Jahren „ein wichtiger Baustein, der eine gemeinsame Sprache dafür schuf, wie die beteiligten Personen Informationen auf kollaborative Weise austauschen und verwalten können“. Zuletzt war die Norm Grundlage für die internationale Normenreihe ISO 19650, die auf die Organisation und Digitalisierung von Bauwerksinformationen über deren Lebenszyklus anzuwenden ist.

2018 wurde die Digital Framework Task Group (DFTG) gegründet – eine von der britischen Regierung finanzierte Gruppe, die auf der Grundlagenarbeit der letzten Jahre aufbaut und nun einen Konsens für gemeinsame Begriffsbestimmungen in den Informationsmanagement-Standards schaffen soll. Wie Moulds erklärt, sei BIM Level 2 in der Praxis eher auf die Planungs- und Bauphase eines Projekts anwendbar.

Allerdings würden sich die Normen weiterentwickeln, um dem Potenzial von BIM Rechnung zu tragen, das die Methode als Ansatz zum Informationsmanagement bietet. So würde sich ihr Nutzen maßgeblich auch während der Übergabe an den Endnutzer und der Betriebsphase großer Infrastrukturprojekte und Smart Assets entfalten. „Man könnte sagen, wir haben es geschafft, das Trojanische Pferd in die Stadt zu bekommen“, vergleicht Moulds. „Jetzt müssen wir die Soldaten dort hinausbekommen, damit sie die Stadt einnehmen können“.

Aus heutiger Sicht bestehe die Hauptlektion darin, an den Kundenstamm zu denken. „Schauen Sie, wo in der Welt Ihre Auftraggeber ihren Sitz haben, und wer deren Agenda bestimmt. Dann stellen Sie sicher, dass Ihr Unternehmen die Bedürfnisse Ihrer wichtigsten Auftraggeber erfüllen kann“, meint Moulds. Er fügt hinzu, dass das britische Modell einer BIM-Pflicht grundsätzlich in vielen Ländern bereits kopiert wird – in Australien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und verstärkt auch in Europa, wie beispielsweise in Deutschland. Er schätzt, dass ein vergleichbarer Ansatz in drei bis fünf Jahren auch auf die USA überschwappen könnte.

Modelldarstellung für das Projekt Regional Connector zur Streckenerweiterung des U- und Stadtbahnnetzes Los Angeles Metro Rail. Mit freundlicher Genehmigung von Mott MacDonald.
Modelldarstellung für das Projekt Regional Connector zur Streckenerweiterung des U- und Stadtbahnnetzes Los Angeles Metro Rail. Mit freundlicher Genehmigung von Mott MacDonald.

2. BIM zur Verbesserung der multidisziplinären Koordinierung nutzen

Gerade bei Infrastruktur-Großprojekten bietet BIM entscheidende Vorteile durch eine effiziente Koordinierung innerhalb und zwischen den Teams. Daher setzte Mott MacDonald im Rahmen der Beteiligung an der Entwicklung des Gesamtkonzepts für einen Start- und Landebahnausbau am Heathrow Airport auf die kollaborative BIM-Technologie. So ließen sich die Beiträge der Konzeptentwickler, Flughafenplaner, Architekten, Stadtplaner und die der Rechts- und Wirtschaftsexperten integrieren. „Mit BIM lassen sich viel mehr Optionen bei weitem schneller beurteilen und dabei mehr Nebenbedingungen berücksichtigen als bisher“, sagt Moulds.

Als Teil des iPT führte Mott MacDonald die Entwicklung durch einen komplexen Masterplan-Prozess, bei dem hunderte von Varianten für den Flughafen und dessen angebundene Transport- und Umweltinfrastrukturen untersucht wurden. Dabei wurden unzählige Überlegungen berücksichtigt. Die BIM-Informationen bildeten eine gemeinsame Grundlage für Planungsentscheidungen auf regionaler Ebene und vereinfachten die Koordinierung mit sonstigen örtlichen Projektentwicklungen. Berücksichtigt wurden unter anderem die potenziellen Auswirkungen auf die Autobahn M25, größere Flussumleitungsmaßnahmen und die umgebende Landschaft.

3. Mit BIM neue Geschäftsfelder erschließen und Workflows optimieren

Da die Methode verpflichtend ist, sind Führungskräfte in Unternehmen und die Behörden verstärkt bereit, in BIM zu investieren und die Technologie als wichtigen Faktor ihrer Wachstums- und Entwicklungsstrategie auf nationaler Ebene zu begreifen. „Unser ‚Smart Infrastructure‘-Team war letzte Woche in Indonesien. Mott MacDonald führt dort im Rahmen eines staatlich geförderten Nachhaltigkeitsprogramms technische BIM-Schulungen durch“, berichtet Moulds. „Die Einstellung der Beteiligten zur BIM-Pflicht im Vereinigten Königreich hat sich in den letzten drei bis vier Jahren gewandelt. Früher herrschten eher Skepsis und Zweifel. Heute ist die Nervosität fast verschwunden und es ist deutlich mehr Zuversicht spürbar.“ Er fügt hinzu, dass sich durch den Einsatz von BIM in Mitteleinkommensländern auch die Transparenz verbessern und dadurch Probleme wie Bestechung und Korruption bekämpfen ließen.

Ein Modell für das Thames-Tideway-Tunnelprojekt. Mit freundlicher Genehmigung von Mott MacDonald.
Ein Modell für das Thames-Tideway-Tunnelprojekt. Mit freundlicher Genehmigung von Mott MacDonald.

Im Projektverlauf kann der Einsatz von BIM viel Zeit am Zeichenbrett sparen. Moulds verweist auf eine Studie von 2017, die den Ansatz untersucht, der beim „Thames-Tideway-Tunnelprojekt“ verfolgt wurde. Das Megaprojekt ist zentraler Baustein des Londoner Abwassersystems. Dabei habe sich erwiesen, dass Planungsprodukte auf Grundlage des BIM-Modells effizienter seien. Schließlich seien in den frühen Planungsphasen und zur Einarbeitung von Änderungen weit weniger 2D-Zeichnungen erforderlich.

So konnte die Planung für das Joint Venture aus Costain, Vinci Construction Grands Projects und Bachy Soletanche in nur zwölf statt der ursprünglich veranschlagten 18 Monate abgeschlossen werden. Mott MacDonald setzt auch bei anderen Großprojekten auf BIM, so zum Beispiel bei der Planung des komplexen Bahnprojekts Ordsall Chord im englischen Manchester und dem Regional Connector der Los Angeles Metro. Für das U- und Stadtbahnsystem wurde erstmalig eine Planung in 3D erstellt.

4. Vorbildfunktionen wahrnehmen

Nach Ansicht von Moulds sei der Schlüssel zum Erfolg, die neuen kollaborativen BIM-Standards zur Senkung der Projektkosten und Erschließung neuer Geschäftsfelder zu nutzen. Dies erfordere proaktive Führungspersönlichkeiten, die selbst überzeugte Verfechter der Digitalisierung im Bauwesen sein müssten. „In unserer Branche sind viele Prozesse eingefahren und etwas angestaubt. Es ist nötig, neue Arbeitsweise zuversichtlich aufzugreifen“, sagt Moulds. „Teils geschieht dies nur zögerlich. Aber wenn die Mitarbeiter wirklich an den Prozess glauben und merken, dass auch die übrigen Beteiligten und Kollegen zunehmend in diese Richtung arbeiten, können wir ein riesiges Potenzial ausschöpfen.“

Über den Autor

Jeff Link ist preisgekrönter Journalist und setzt sich mit den Themen Technologie, Planung und Umwelt auseinander. Seine Arbeiten wurden unter anderem in Wired, Fast Company, Architect und Dwell veröffentlicht.

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