Wolf Prix über Bauen mit Robotern und die „sichere Seite“ der verwegenen Architektur
Als Antwort auf die konservative und manchmal zersplitterte Bauindustrie glauben manche Architekten, dass eine Doppelstrategie nötig ist, um den Bauprozess zu verbessern und zu automatisieren: Zum einen müssen experimentelle Materialien und Elemente verwendet werden und zum anderen müssen diese auf experimentelle Weise eingesetzt werden.
Außergewöhnliche Beispiele dafür sind selbstgesteuerte insektenähnliche Roboter, die sich zur Gestaltung eines Gebäudes vereinen, oder Materialien, die eigenständig infolge von Temperaturwechseln oder dem Einwirken kinetischer Energie an der gewünschten Position einrasten.
In vielen Branchen wurde die Hürde der Automatisierung bereits erfolgreich genommen. Mit surrenden Getrieben und zischender Pneumatik produzieren unzählige Reihen mechanischer Roboterarme in einem Sprühregen von Lötfunken Autos, Flugzeuge und U-Boote. Warum also sollte der Einsatz von Robotern nicht auch bei der Konstruktion von Gebäuden zum Alltag werden?
Diese pragmatische Anregung stammt von einem der verwegensten und fantasievollsten Träumer der Architekturszene: Wolf D. Prix, dem Gründer der österreichischen Firma Coop Himmelb(l)au. Mit MSC, einem in China ansässigen Unternehmen für Fassadentechnik, arbeitet er an speziell konzipierten Industrierobotern und schlägt ein einfaches System von Roboterarmen vor, die mit Standardtechnologie Fassadenelemente anbringen. „Das Einzige, was anders ist, ist die Programmierung“, sagt Prix.
Prix gab sein Debüt im Jahr 1988 im Museum of Modern Art bei der wegweisenden Ausstellung für Dekonstruktivistische Architektur, neben Zeitgenossen wie Frank Gehry, Rem Koolhaas und Zaha Hadid. Er ist vielleicht auch derjenige, der seiner Arbeit am treuesten geblieben ist – mit kollidierenden Formen, verdrehtem Stahl und überirdischen Räumen. Seine Architekturästhetik stammt noch aus dem Zeitalter von Transparentpapier, Tinte und Freihandillustration, welches sich durch die Fortschritte der computerunterstützten Gestaltung rasant weiterentwickelt hat. Heute wird selbst der Ausdruck des fertigen Bauwerks von der computergestützten Automatisierung geprägt, glaubt Prix.
Mit dieser Baumethode versucht Prix, der Kritik an eigenwilliger und experimenteller Architektur das Argument der höheren Effizienz entgegenzusetzen – um im Hinblick auf Kosten und Ressourcen zwischen ausgefallenen Bauformen und dem traditionellen, geradlinigen Modell gleiche Voraussetzungen zu schaffen.
„Es gibt immer Zweifler, die sagen, dass diese komplexen Formen unmöglich oder sehr teuer und nur über einen langen Zeitraum realisierbar sind“, sagt Prix. „Seit Jahren versuchen wir, eine Bauweise zu finden, die Kosten senkt und sehr schnell realisiert werden kann.“
So plant Coop Himmelb(l)au, Roboter beim Bau des Museum of Contemporary Art and Planning Exhibition (MOCAPE) im chinesischen Shenzhen einzusetzen. Bei diesem von Prix geleiteten Pilotprojekt würden Roboter die Innenfassade des zentralen kreisförmigen Baukörpers zusammenzubauen: ein mehrgeschossiger silberner Tropfen aus geschmolzenem Metall, den Prix „The Cloud“ (die Wolke) nennt. (Zu den jüngsten formalen Assoziationen zählen Skulpturen von Brancusi und Phobos, der längliche Mars-Mond.)
Dieser Baukörper verbindet die zwei im Gebäude ansässigen Institute: ein Museum für zeitgenössische Kunst und eine Ausstellungshalle, in der die Stadtplanung und die architektonische Entwicklung zu sehen sind. Letzteres Thema ist besonders für Shenzhen, das sich von einem großen Fischerdorf mit 300.000 Einwohnern im Jahr 1980 zu einer der größten Metropolen der Welt entwickelt hat, von großer Bedeutung. Die schwebende Präsenz des Baukörpers bildet das Hauptaugenmerk inmitten von Prix’ wirbelnder Schraffur aus Stahlstützen.
Das Gebäude soll bis Dezember 2016 fertiggestellt sein, aber seine Auftraggeber (das Kulturbüro und das Stadtplanungsbüro der Stadt Shenzhen) haben den Plan, die „Cloud“ mit Robotern zu bauen, abgelehnt und stattdessen die maßgefertigten Metallpanels auf herkömmliche Weise installieren lassen. Prix wisse nicht genau, warum dies geschehen ist, aber er hat eine Theorie: „Ich glaube, die Chinesen dachten, MSC würde uns dafür bezahlen, weil wir sie wärmstens empfohlen haben. Deshalb haben sie den Auftrag storniert“, sagt er.
Aber es gibt noch Hoffnung für Prix und die Roboter von MSC. Im nächsten Sommer beginnt er unter Einsatz des gleichen Verfahrens mit dem Bau eines Hotelturms in Wien.
Und so funktioniert’s: Zuerst formt eine mechanische Presse die Wandverkleidungen. Diese werden zur Baustelle transportiert und dort von gelenkigen Roboterarmen, die zuvor auf mechanisierte Kranbühnen gehoben wurden, platziert, geschweißt, poliert und auf Hochglanz gebracht. Diese Tätigkeiten werden von den gleichen Robotern ausgeführt, nur mit jeweils anderen Aufsätzen. Obwohl das Ganze als Panelsystem konfiguriert ist, handelt es sich bei allen Komponenten um Standardware aus jeder beliebigen Massenproduktion in der Schwerindustrie. Arbeiten, die normalerweise sechs Monate dauern würden, könnten in sechs Wochen erledigt sein und ein 80-Personen-Projekt könnte von nur acht Personen umgesetzt werden, schätzt Prix.
Prix sieht in dieser Methode des Bauens einen Weg, die Menschen „von der Tyrannei des allgegenwärtigen Rechtecks zu befreien“ und eröffnet dem designbewussten Publikum sowie auch sich selbst einen höheren Erlebniswert. Aber so wie bereits in der Kraftfahrzeugindustrie geschehen, könnte diese Automatisierung auch in der Baubranche zum Verlust von Arbeitsplätzen führen, wenn sie schließlich dorthin vordringt.
Prix sagt, die Baubranche sei in der Regel „langsam und stur“, und jedes Vorstadthaus in Holzrahmenbau nach Ballon-Bauweise (eine Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA entwickelte Technologie) zeugt von diesem Festhalten an Traditionen. Dieser auf konservativem und historistischem Konsumentengeschmack gründende Widerstand gegen den Wandel wird in anderen Branchen nicht geduldet, da er diese zu Überalterung und Zusammenbruch verurteilen würde. „Würde sich die Automobilindustrie wie die Bauindustrie verhalten, würden wir heute noch auf Pferden reiten“, sagt Prix.
Unter seinen Zeitgenossen war Prix wohl schon immer der größte Optimist im Bezug auf die befreiende Kraft der reinen Form. „Architektur gibt den Menschen die Möglichkeit, auf fantasievollere Weise zu reagieren – ganz anders, als wenn sie von rechteckigen und „undynamischen“ Gefängnissen niederdrückt werden“, sagt er.
Mit „undynamisch“ meint Prix die etablierte quadratische Bauweise oder auch „dumme Kastenarchitektur“, wie er sie nennt. Die Bauweise mit Robotern ist für Prix auch ein Argument, um den Fragen zu begegnen, die jedes Mal kommen, wenn er eine Pressemitteilung über ein neues Gebäude herausgibt: Können wir uns Design um des Designs willen leisten? Brauchen wir diesen großzügigen Bogen aus freitragendem Stahl, wenn einige weitere gerade Linien den Regen genauso gut abhalten würden?
Was die aufstrebende Generation von Architekten und Planern betrifft, die sich weitere experimentelle Methoden der Selbstmontage mit Robotern ausdenken, meint Prix, dass deren Bestrebungen noch kein praktisches Mittel zum Zweck sind.
„Diese Kleinbauten sind im Grunde ein Hobby“, sagt er. „Wir brauchen auch größere Gebäude.“ Diese Art von Projekt eignet sich gut für einen kleinen Pavillon, aber für größere Strukturen werden die robusten, verlöteten Verbindungen traditionellerer Bauweisen benötigt.
Vor dem Hintergrund von Prix’ eigener Vergangenheit als Provokateur sind dies die Worte eines Architekten, der die Mitte seiner Karriere überschritten hat und sich mehr für praktische Anwendungen als für theoretische Überlegungen interessiert. Aber dass er bereit ist, sich dem konservativen Aspekt eines relativ unbearbeiteten und spekulativen Bereiches zu widmen, um besagten Wandel mitzuprägen.