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Mithilfe von VR liest ein Visualisierungsexperte die Gedanken der Architekten

Gedaddelt hat Ernesto Pacheco schon immer gerne – früher mit dem Vater an der Atari-Konsole, heute als Leiter der Abteilung für Visualisierung beim renommierten Planungsbüro CannonDesign. Dort ist der gebürtige Mexikaner und studierte Architekt für Multi-User-VR verantwortlich – eine virtuelle Realität, in der bis zu 16 Menschen gleichzeitig miteinander interagieren. Dass sein Kindheitshobby ihn für eine Laufbahn an der vordersten Front der technologischen Transformation in der Architekturbranche prädestinieren würde, hätte er sich wohl kaum träumen lassen.

Noch weniger hätte er sich vorstellen können, dass die Visualisierungstechnologien, die Pac-Mans knallgelbes Mampfgesicht erschufen, innerhalb von weniger als vier Jahrzehnten zu Systemen heranreifen würden, die nach realen Vorbildern lebensechte 3D-Avatare mit emotionaler Reaktionsfähigkeit hervorbringen. Heute kann er in seinem Büro in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri immer wieder miterleben, wie Planer und Auftraggeber sich VR-Headsets vom Typ HTC Vive Pro aufsetzen und gemeinsam virtuelle Gebäude oder Räumlichkeiten begehen, um auf dieser Grundlage dann kokreative planerische Weichenstellungen vorzunehmen.

Seine berufliche Laufbahn bezeichnet Pacheco als achtzehnjährige Abenteuerreise. Dass ihm die exponentielle Beschleunigung der digitalen Produktentwicklung manchmal gehörig auf den Senkel geht – etwa wenn ein 13.000 Dollar teures Hardware-Produkt schon innerhalb weniger Monate als überholt gilt –, tut seiner anhaltenden Begeisterung keinen Abbruch. In diesem Interview steht er Rede und Antwort zu seinen Erfahrungen mit dem Einsatz von Multi-User-VR als Hilfsmittel in den Frühphasen der Planung und Prototypenentwicklung.

NVIDIA Holodeck VR ist eine Plattform für kollaborative Planung, auf der bis zu 16 Menschen als Avatare im selben Raum miteinander kommunizieren und interagieren können. Mit freundlicher Genehmigung von CannonDesign.
 
Mit freundlicher Genehmigung von CannonDesign.
 
Mit freundlicher Genehmigung von CannonDesign.
 
Mit freundlicher Genehmigung von CannonDesign.
 
Mit freundlicher Genehmigung von CannonDesign.

Redshift: Herr Pacheco, wie kamen Sie auf den Gedanken, Multi-User-VR als Planungstool einzusetzen?
Ernesto Pacheco: VR wird oft als eine Technologie empfunden, die den Anwender stark isoliert. Das fängt schon damit an, dass man ein Headset aufsetzen muss, was nicht gerade bequem ist. Manchen wird auch schwindelig oder so. Für Menschen, die keine sonderliche Affinität zur Technologie haben, ist das alles recht gewöhnungsbedürftig.

Das änderte sich erst, als NVIDIA Ende 2017 die Holodeck-Plattform auf den Markt brachte. Im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit NVIDIA waren wir an der Beta-Testphase der Funktionen für die architektonische Planung beteiligt. Endlich eine VR-Plattform mit den Tools, die wir brauchten – und mit der Option zur gemeinsamen Nutzung im Multi-User-Format. Damit können bis zu 16 Menschen im selben virtuellen Raum miteinander interagieren. Das macht die Sache gleich viel angenehmer. Sobald man die virtuelle Umgebung betritt, sieht man die anderen User, kann mit ihnen reden, mit ihnen arbeiten, die simulierten Räumlichkeiten erkunden. Das ist einfach klasse. Ich war schon beim ersten Ausprobieren begeistert.

CannonDesign hat einen Vorentwurf für ein Lehrkrankenhaus am College of Nursing der Universität Houston erarbeitet. Inwieweit hat VR den Ablauf der Planprüfung verändert?
Bei Bauprojekten für medizinische Einrichtungen ist es üblich, dass man vor Ort Mockup-Modelle kritischer Bereiche aufbaut. Die medizinischen Fachkräfte können sie dann begehen und überprüfen, wo genau sich Geräte und Arbeitsutensilien befinden, in welcher Höhe Arbeitstresen angebracht sind und so weiter. Jetzt können sie das geplante Layout der Patientenzimmer direkt in der VR-Umgebung begutachten. Erforderliche Änderungen können sofort vorgenommen und die Dateien einfach neu exportiert werden. Das ist sehr viel einfacher, als ein physisches Mockup zu ändern. Hier dauert der Bau etwa zwei bis drei Wochen und kann bis zu 35.000 Dollar kosten. Außerdem ist es Materialverschwendung, weil man die Modelle hinterher sowieso entsorgen muss.

Beim Planungsentwurf für ein Lehrkrankenhaus am College of Nursing der University of Houston arbeitete das Team von CannonDesign mit Holodeck. Dadurch konnten gewünschte Änderungen umgehend umgesetzt werden, während gleichzeitig der Zeit- und Kostenaufwand für den Bau physischer Mockup-Modelle entfiel. Mit freundlicher Genehmigung von CannonDesign.
Beim Planungsentwurf für ein Lehrkrankenhaus am College of Nursing der University of Houston arbeitete das Team von CannonDesign mit Holodeck. Dadurch konnten gewünschte Änderungen umgehend umgesetzt werden, während gleichzeitig der Zeit- und Kostenaufwand für den Bau physischer Mockup-Modelle entfiel. Mit freundlicher Genehmigung von CannonDesign.

Mithilfe der virtuellen Realität sind wir in der Lage, mehr Mockup-Modelle zu erstellen und Planungsabläufe zu verkürzen. Auftraggeber können uns Änderungswünsche noch am selben Tag mitteilen, und die Umsetzung erfolgt innerhalb von ein bis zwei Tagen. Als es Holodeck noch nicht gab, mussten wir ganze Mockups von Grund auf neu auf die Beine stellen, und das dauerte gut und gerne ein bis zwei Wochen.

Nützt Ihnen dieses sofortige Feedback auch in der eigentlichen Bauphase?
Auf jeden Fall. Ein großer Vorteil ist, dass man die Körpergröße erkennen kann. Wenn man ein Headset aufsetzt und einen virtuellen Raum betritt, wird die eigene Größe realitätsgetreu dargestellt. Wenn jemand so groß ist wie ich – knapp zwei Meter –, dann sieht man das seinem Avatar auch an. Außerdem übernimmt der Avatar auch typische Gesten und Verhaltensweisen. Das heißt, man spricht mit jemandem und denkt sich zum Beispiel: „Ach, das ist ja Andrew.“ Man erkennt den Avatar am Erscheinungsbild und der Körpersprache, bevor man ihn überhaupt anspricht.

Wie haben Ihre Auftraggeber an der University of Houston reagiert, als sie ihre Patientenzimmer – und ihre animierten Alter Egos – in der VR gesehen haben?
Das lief überraschend gut. Zwei Leute von dem College haben eine Begehung in Holodeck gemacht. Für beide war es die erste Begegnung mit der Technologie, und schon nach einer kurzen Einweisung sind sie gut damit klargekommen. Erst haben wir uns das Gebäude aus der Puppenhaus-Perspektive angeschaut. Dann durften sie sich einzeln umschauen und den Raum auf sich einwirken lassen.

Was die Planung angeht, gab es mehrere Punkte, die den CEO besonders interessierten: die Lage des Maschinenraums, die pro Bett berechnete Fläche und die für das Stationszimmer vorgesehenen Werkstoffe. So gab es dann das Feedback: „Wie wäre es, wenn wir die Zwischenwand nicht aus Holz, sondern aus Glas machen, damit das Pflegepersonal die vorhandenen Geräte von außen sehen kann, ohne eigens ins Stationszimmer gehen zu müssen?“ Das haben wir dann sofort umgesetzt.

Welche Gefühlsregungen bekommen Sie mit, wenn Ihre Auftraggeber in die VR einsteigen?
Na ja, man sieht alle möglichen Gefühlsregungen – Frust zum Beispiel: Man sieht, wie die Schultern nach unten gehen und sich der Kopf senkt, das ist einfach irre. VR-Plattformen wie NVIDIA Holodeck arbeiten mit den Sensoren der Headsets und Künstlicher Intelligenz, um den Avataren möglichst realistische Verhaltensweisen zu geben. Wenn Sie sich bücken, macht der Avatar die Bewegung nach. Neben der Gestik kann man auch die Mimik animieren. Wenn Sie lächeln, traurig, desinteressiert oder auch fröhlich gucken, dann orientiert sich der Avatar an Ihrer Stimmung und passt sein Verhalten entsprechend an.

Ernesto Pacheco wirft sich in Montur für eine weitere Expedition in die virtuelle Realität. Mit freundlicher Genehmigung von CannonDesign.
Ernesto Pacheco wirft sich in Montur für eine weitere Expedition in die virtuelle Realität. Mit freundlicher Genehmigung von CannonDesign.

Wie reagieren Sie, wenn jemand bei einer Planprüfung frustriert ausschaut?
„Wo liegt das Problem? – Warum empfinden Sie das so? – Haben Sie vielleicht noch Fragen?“ Für uns ist das eine Chance, offene Fragen oder Bedenken offen zu thematisieren. Diese Empathie sorgt dafür, dass die Menschen den Prozess aktiv mittragen.

Wie stellen Sie sich die Zukunft der Visualisierung von Planungsentwürfen vor?
Ihr volles Potenzial wird die Technologie in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz und Generativem Design entfalten. Man muss sich das so vorstellen, dass CannonDesign zum Beispiel einen ganz eigenen Baustil, quasi eine Handschrift, haben wird, während für die einzelnen Gebäudetypen jeweils bestimmte Einschränkungen bezüglich des Baugrunds, der Höhe oder ähnlicher Faktoren gelten werden. Und diese ganzen Vorgaben wird man dann in Dynamo Studio von Autodesk einspeisen können, um verschiedene Planungskonzepte auszuprobieren und bestimmte Aufgaben zu automatisieren. Der Computer wird einen Entwurf mit Tausenden von Iterationen ausspucken, damit wir nur noch denjenigen aussuchen müssen, der unserer Meinung nach für das jeweilige Projekt am besten geeignet ist.

Diese Technologie wird die Lebensqualität zahlreicher Menschen verbessern. Rein zeitlich können wir keine 10.000 Optionen für ein Projekt durchspielen. Über den Lebenszyklus eines Projekts verteilt schaffen wir vielleicht zehn oder bestenfalls 20. Jetzt haben wir jedoch die Chance, dem Computer die mühselige Routinearbeit zu überlassen und uns auf andere Aspekte zu konzentrieren, die dem betreffenden Gebäude eine besondere und individuelle Note verleihen.

Autodesk ist Partner vom Wissenschaftsjahr 2019 mit dem Fokus auf Künstliche Intelligenz (KI) und unterstützt damit die Initiative der Bundesregierung, den Blick für die Chancen in KI zu schärfen sowie die Herausforderungen dieses neuen Technologietrends zu thematisieren.

Über den Autor

Jeff Link ist preisgekrönter Journalist und setzt sich mit den Themen Technologie, Planung und Umwelt auseinander. Seine Arbeiten wurden unter anderem in Wired, Fast Company, Architect und Dwell veröffentlicht.

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