Der Lifestyle-Faktor: Lukrative Aussichten für Architekten im Schiff- und Superyachtbau
Die Präsentation von „Unique Circle Yachts“, Zaha Hadids luftigem, geschwungenem Prototypen für eine Familie von Superyachten, zeigte einen beachtenswerten neuen Trend auf: Immer mehr Architekten machen mit Entwürfen für Luxusschiffe von sich reden.
Wenn man es einigermaßen geschickt angeht, lässt sich im Schiffbau jede Menge Geld verdienen. 2016 wurden im hochexklusiven Superyachtsektor immerhin 87 Schiffe verkauft. Im Vergleich zum Luxusschiff „Something Cool“ der Werft Hakvoort, das für umgerechnet 55 Millionen Euro den Besitzer wechselte, war die „Mia“ des Mitbewerbers Broward zum Preis von 597.000 Euro geradezu ein Schnäppchen.
Indes stellen Gebäude und Schiffe ihre Planer und Konstrukteure vor sehr unterschiedliche Herausforderungen – nicht zuletzt aus dem einfachen Grund, dass Schiffe ständig in Bewegung sind. Wie einfach ist es also, aus der Gebäudeplanung in den Schiffbau zu wechseln? Gewöhnungsbedürftig ist dabei vor allem die mentale Umstellung auf die Zusammenarbeit mit Auftraggebern, die zu den reichsten Menschen der Welt zählen, wie Andrew Winch aus einschlägiger Erfahrung zu berichten weiß.
Der Yachtdesigner, dessen Firma Winch Design laut der Fachzeitschrift Boat zu den 50 besten weltweit zählt, begriff sehr schnell, dass beim Bau von Superyachten der Lifestyle-Faktor absolute Priorität genießt. Von Schiffswänden und Takelage bis hin zur Oberflächengestaltung in den Innenbereichen und der ergonomischen Platzierung von Lichtschaltern muss jedes noch so kleine Detail haargenau den Wünschen der milliardenschweren Auftraggeber entsprechen.
Winch kann mittlerweile auf eine über 30-jährige Erfahrung im Schiffbau zurückblicken. Heute beschäftigt seine Firma siebzig Mitarbeiter in vier Abteilungen. Ihren Hauptsitz hat sie in einer umgebauten Feuerwache aus dem 19. Jahrhundert im Westen Londons direkt an der Themse. Neben dem Yachtbau hat sein Studio in den vergangenen gut zehn Jahren auch lukrative Aufträge wie den Bau eines Yachtclubs in Montenegro, mehrerer Londoner Luxusresidenzen und Privatjets für Boeing und Airbus an Land gezogen.
Grundsätzlich mache es keinen riesigen Unterschied, ob man eine Yacht, ein Gebäude oder ein Flugzeug plane, so Winch, der seine Baupläne mit der AutoCAD-Software von Autodesk entwirft. Vor allem gehe es dabei um die Fähigkeit, dreidimensional zu denken, die er bereits während seines Bachelor-Studiums am Kingston College im Großraum London eingeübt habe. Gleichgewicht, Form und Proportionen seien Faktoren, die man beim Entwurf eines Jets, der Rumpfbemalung für eine Yacht oder eines Türgriffs gleichermaßen berücksichtigen müsse. „Ich habe den Vorteil, dass ich Legastheniker bin und mir jegliche mathematische Veranlagung abgeht“, erläutert Winch weiter. „Dank meiner visuellen Begabung kann ich Entwürfe räumlich und plastisch sehen.“
Eine der von Winch entworfenen Superyachten ist die 100 Meter lange „Equanimity“, die bereits eine im südfranzösischen Cannes begonnene Nordamerika-Umsegelung hinter sich hat. Das Luxusschiff prunkt mit edlen Werkstoffen wie Wenge-Holz, Blattgold, Bambus und Marmor. An Bord steht den Gästen ein Wellness- und Strandclub „mitsamt Sauna, Hammam (türkischem Bad), Erlebnisduschen, Tauchbecken und Schönheitssalon mit facettenreichem Angebot“ zur Verfügung, wie der Pressemitteilung zu entnehmen ist. Für richtig Anspruchsvolle gibt es zusätzlich ein Fitness- und ein Pilatesstudio und einen für sämtliche Hubschrauberklassen zugelassenen Landeplatz.
Logistisches Geschick und internationale Projektplanung spielen ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle. Für die von der Bremer Werft Lürssen gebaute, 156 Meter lange „Project Omar“ – Berichten zufolge nach Volumen berechnet die größte Superyacht der Welt –, die im Frühjahr 2016 bei Testfahrten auf der Nordsee gesichtet wurde, entwarf Winch Design die Innenausstattung. Es war ein monumentales Unterfangen, wie Winch sagt: „Aufgrund der Größe war dies unser bislang kompliziertestes und anspruchsvollstes Projekt. Um es zu bewältigen, mussten wir ein größeres Studio bauen. Wir haben sechs Leute in Deutschland, die allein für die Lieferung der Möbel zuständig sind: insgesamt 450 Einzelstücke – Schreibtische, Tische, Couchtische und Kunstwerke, die von Subunternehmern weltweit bezogen werden mussten.“
Doch nicht alle Designer sind auf Superlative aus. Der Schweizer Konzeptgestalter Timon Sager denkt sich futuristische Schiffsentwürfe aus, die ihre Inspiration ebenso aus den elementaren Eigenschaften des Wassers wie aus dem Science-Fiction-Kino schöpfen: „In den 1970er Jahren holten Designer sich Anregungen bei den zeitgenössischen Sci-Fi-Comics und schufen kultige Hingucker wie zum Beispiel die Kielflossen an Autos. Heute ist der Einfluss von Elementen spürbar, die den technologischen Fortschritt versinnbildlichen, etwa Wabenmuster und LED-Leuchtstreifen – auch dieser Trend hat seinen Ursprung in der Unterhaltungsbranche.“
Diese Einflüsse sind unverkennbar in dem von Sager entworfenen, 15 Meter langen Daycruiser „Nimue 490“, der auf dem Protei-Konzept des Erfinders Cesar Harada beruht: ein schwimmender Roboter, der seine Gestalt verändern kann. Das Schiff erinnert an eine Elektrogeige oder ein Tarnboot, aus dem jeden Augenblick Batman herausspringen könnte. Über das Heck spannt sich eine durchsichtige Windschutzscheibe, die der bis zu achtköpfigen Besatzung einen Hauch von Luxus stiftet.
Jedoch vermag sich selbst ein Visionär wie Sager nicht den elementaren Gesetzen der Seefahrt zu entziehen. Seine „widerstandsfreie“ tränenförmige „Bairim“ ist ganz auf hydrodynamische Effizienz ausgelegt – ihr Rumpf soll die Wellen mit möglichst geringem Widerstand durchschneiden. „Strömungswiderstand, Wellengang und die Gefahren der Meere allgemein stellen uns vor große Probleme“, bekräftigt Sager. „Das gesamte Schiffsinnere ist ständig in Bewegung, und dies wiederum wirkt sich beispielsweise auf die Gestaltung der Fenster und die Raumperspektive aus.“ Nicht zuletzt deshalb verwendet Sager ein Oculus Rift, um seine Entwürfe – die er mit den Autodesk-Programmen Sketchbook und Alias erstellt – in einer Virtual-Reality-Umgebung zu testen. Den zahlreichen Interessenten, die ihn drängen, die Modelle zur Marktreife zu bringen, erteilt er indes eine Absage: Es handelt sich um reine Konzeptschiffe.
Sagers ungemein produktiver Designerkollege Phil Pauley, der als Gründer und Geschäftsführer der Firma Pauley Interactive Software Specialists mit Standorten in den englischen Städten London und Milton Keynes ein Team von Software- und Technologiefachleuten leitet, hat sich derweil ebenfalls an Superyachten versucht. „Mir kam die Idee für den Entwirf einer Superyacht, die mit einem riesigen Partydeck ausgestattet ist“, erzählt der Industriedesigner, Architekt und Experte für Technologiekonzepte. „Yachten sind das ultimative Statussymbol, und doch können die Eigner immer nur eine begrenzte Anzahl von Menschen an Bord einladen.“
Das Ergebnis dieser Gedankenspiele war die „Cruiser“-Konzeptreihe aus vier flexibel umfunktionierbaren Schiffen namens „Yacht Cruiser“, „Sub Cruiser“, „Fly Cruiser“ und „Power Cruiser“, die der Fantasie ihrer Eigner quasi keine Grenzen setzen: Von der Megaparty über den Höhenflug bis hin zur Tarnfahrt ist alles drin.
Für Pauley, dessen Konzeptentwurf für ein autarkes Unterwasserhabitat 2014 mit dem Green Good Design Award ausgezeichnet wurde, erwies sich das Abenteuer Superyachtdesign als kurzlebiges Zwischenspiel, das ihn weit weniger interessierte als andere Architekturprojekte. „Ich habe gemerkt, dass man im Yachtdesign vergleichsweise sehr viel weniger Spielraum hat. Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass ich auf diesem Gebiet keine weiteren Projekte gemacht habe“, glaubt er.
Für Winch – dessen Firma 2009 bei den World Superyacht Awards für die „Al Mirqab“ eine Auszeichnung für Best Interior Design und 2014 für die „Madame Gu“ ein Showboats Design Award und mehrere Auszeichnungen bei den World Superyacht Awards abstauben konnte – liegt das Erfolgsgeheimnis in der Kommunikation mit den Auftraggebern. Man müsse bereit sein, sich ihre Ideen anzuhören und sie dann mit emotionaler Resonanz und Detailgenauigkeit umzusetzen.
„Um Ansprüche erfüllen zu können, muss man sie zunächst verstehen“, sagt er. „Reiche Leute haben wenig Zeit; sie treffen Entscheidungen in Sekundenschnelle, und Entscheidungsfindung ist für sie ein wichtiger Motivationsfaktor. Wenn man ihnen zielführende Fragen stellt, kann man das Projekt effizienter und effektiver abwickeln.“