Architekt gegen Bauingenieur: So funktioniert eine harmonische Beziehung
Die Zusammenarbeit zwischen Architekten und Bauingenieuren kann zur Kollision grundverschiedener Persönlichkeitstypen und beruflicher Ziele werden. Nicht selten geraten hier Köpfe und Egos aneinander.
Die Vorurteile lauten in etwa so: Architekten entwerfen Wolkenkuckucksheime ohne jede Bodenhaftung, während Bauingenieure sich stur an Daten und Fakten halten und nicht bereit sind, im Namen von Innovation und Schönheit auch nur den geringsten Kompromiss einzugehen.
„Wenn ein Architekt seine Vision unbedingt verwirklicht sehen möchte, kann der Eindruck entstehen, dass ihm die Statik unnötige Steine in den Weg wirft“, erläutert Clare Olsen, Dozentin für Architekturwissenschaften an der California Polytechnic State University in San Luis Obispo und Inhaberin des Planungsbüros C.O.CO. „Architekten empfinden es als frustrierend, wenn Bauingenieure die Vision und den Wert einer bestimmten architektonischen Zielvorstellung nicht erkennen.“
Olsen und Sinéad Mac Namara, die als Dozentin für Statik sowohl im Fachbereich Architekturwissenschaften als auch im Fachbereich Bauingenieurwesen lehrt, haben jedoch auch Fälle erlebt, in denen Architekten und Ingenieure einander hervorragend ergänzten. Solche erfolgreichen Partnerschaften stehen im Mittelpunkt der zehn Fallstudien, die die beiden Wissenschaftlerinnen in ihrem Buch Collaborations in Architecture and Engineering (Routledge, 2014) präsentieren.
Kommunikationshindernisse abbauen
Bevor sie sich der Frage zuwenden, welche Faktoren eine gute Zusammenarbeit ermöglichen, thematisieren Olsen und Mac Namara zwei Bereiche, in denen sich Kluften zwischen Architekten und Bauingenieuren auftun: Berufsbild und Fachvokabular.
Angehende Bauingenieure lernen im Laufe ihres Studiums, einzelne Probleme mit den Werkzeugen ihrer jeweiligen Fachdisziplin – beispielsweise Statik – zu lösen. Zukünftige Architekten lernen, das große Ganze im Blick zu behalten: eine Vision für das fertige Bauwerk zu entwickeln.
Wenn er seinen Abschluss dann in der Tasche hat, legt der Jungarchitekt also los und entwickelt seine Vision. Dem Bauingenieur, der ebenfalls frisch von der Uni kommt, fallen sofort 19 verschiedene Probleme auf. Wenn er (oder sie) nicht von Anfang an in den Prozess einbezogen wird, kann es passieren, dass er von der Annahme ausgeht, der Architekt sei mit einem bestimmten Begriff aus der Statik vertraut. Der Architekt wiederum gibt nur ungern zu, dass es ihm an technischem Wissen mangelt.
„Vielen Berufsanfängern fällt es schwer, eingestehen zu müssen: ‚Ich habe keine Ahnung, wie das geht‘ – selbst bei Dingen, die sie in ihrem Studium gar nicht unbedingt gelernt haben“, so Mac Namara.
Gerade Neulinge seien oft nicht in der Lage, die symbiotische und kooperative Natur ihrer Geschäftsbeziehungen zu erkennen. Stattdessen gingen sie davon aus, dass es auf jede Frage nur eine richtige Antwort gebe.
„Wenn man weit genug in der Geschichte zurückgeht, waren der Bauingenieur und der Architekt ein und dieselbe Person“, so Mac Namara. „Die Steinmetze, die beispielsweise die gotischen Kirchen bauten, waren Architekten und Bauingenieure in einem. Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Erwartungen an die Funktionen gestellt, die ein Gebäude erfüllen sollte, und das führte zur Aufgabenteilung und zur Entstehung unterschiedlicher Rollen.“
Mit den Rollen entwickelten sich auch die Fachsprachen. Heute kann es gut vorkommen, dass ein Architekt und ein Ingenieur denselben Begriff verwenden und damit zwei vollkommen verschiedene Dinge meinen.
„Differenzierung“ ist ein gutes Beispiel. Ein Architekt würde sich darunter beispielsweise eine Formdifferenzierung wie die unten abgebildete Visualisierung einer gekrümmten Oberfläche vorstellen.
Ingenieure hingegen verstehen darunter einen Begriff aus der Infinitesimalrechnung zur Errechnung der Veränderungsrate.
Im Zuge ihrer Forschungsarbeiten stellten Olsen und Mac Namara fest, dass das unterschiedliche Berufsbild und Fachvokabular häufige Gründe für Missverständnisse waren, die eine effektive Kommunikation verhinderten. Ineffektive Kommunikation wiederum war das größte Hindernis, das einer erfolgreichen Zusammenarbeit im Weg stand.
Es geht auch anders
Im Rahmen ihrer Fallstudien führten die beiden Wissenschaftlerinnen Interviews mit einer Reihe von Architekten und Bauingenieuren durch, die bei großen US-amerikanischen Firmen wie SOM, Gensler und ARUP arbeiten. Unter anderem sollten sie die wichtigsten Auswahlkriterien bei der Einstellung neuer Mitarbeiter reihen. Zur Überraschung der Verfasserinnen standen weder architektonische Begabung noch Qualifikationen ganz oben auf der Liste. Vielmehr wurde „Teamfähigkeit“ als wichtigstes Kriterium genannt.
Was machen diese Unternehmen richtig? Es fängt mit gut durchdachten Arbeitsabläufen an, die eine Menge dazu beitragen, die stürmischen Wasser der Kommunikation zu glätten.
Nehmen wir zum Beispiel BIM-Umsetzung. Fachexperten nutzen BIM, um vor, während und nach den verschiedenen Bauphasen detaillierte Informationen zu dem jeweiligen Bauprojekt abzurufen. Eine 3D-Design-Software wie Autodesk Revit unterstützt Planer und Ingenieure frühzeitig bei der Entscheidungsfindung, kann dadurch Problemen frühzeitig vorbeugen sowie Zeit und Geld sparen.
„Das Wesentliche daran ist, dass BIM eine Zusammenarbeit bei der Gebäudeplanung ermöglicht und dadurch der Bauvorgang selber effizienter wird“, erläutert Olsen.
Durch Integrierte Projektabwicklung (IPD) lassen sich ebenfalls Hindernisse in der interdisziplinären Zusammenarbeit abbauen. Dabei werden verbindliche Projektziele definiert und vertraglich vereinbart. Durch die Einbeziehung aller Projektbeteiligten in einem frühen Stadium des architektonischen Planungs- und Gestaltungsprozesses wird nicht nur Verschwendung reduziert, sondern es lassen sich auch Effizienzgewinne erzielen, Fehler verhindern und Nachbesserungen in späteren Phasen vermeiden.
„Dadurch werden einige der Probleme abgebaut, die sich traditionell daraus ergeben, dass der Architekt sozusagen das Sagen über die anderen Akteure hat“, so Olsen. „Bei einem integrierten Projekt werden alle Hauptbeteiligten von Anfang an als Team unter Vertrag genommen.“
Großer Bahnhof für eine zukunftsweisende Zusammenarbeit
Gute Arbeitsabläufe sind nicht der einzige Faktor, der eine erfolgreiche Zusammenarbeit gewährleistet. So genannte „Soft Skills“ – außerfachliche Kompetenzen wie emotionale Intelligenz, soziale und personale Kompetenz – und gegenseitige Aufgeschlossenheit spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Eine der Fallstudien in Olsens und Mac Namaras Buch befasst sich mit der Zusammenarbeit zwischen dem Ingenieurbüro Schlaich Bergermann und Partner (SBP) und den Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp).
Beim Bau des Berliner Hauptbahnhofs habe er die Rolle der Architekten darin gesehen, die Ingenieure zu Innovationen anzuregen, so Dr.-Ing. Hans Schober von SBP. Aus Sicht des Architekten seien die Gesetze der Statik nicht unbedingt Sachzwänge, sondern eher wichtige kreative Impulsgeber.
Es habe einen Punkt gegeben, an dem sich beide Ansätze nicht miteinander vereinbaren ließen: Die Planung der Ingenieure sah für die Glasfassaden der Eingangsbereiche eine gespannte Seilnetzkonstruktion vor, die die Architekten als zu minimalistisch verwarfen. Letztlich konnte eine Kompromisslösung erarbeitet werden, die zudem den Vorteil einer geringeren Durchbiegung unter Windlast hatte.
In Collaborations in Architecture and Engineering wird Schober mit den Worten zitiert: „Manche Ingenieure freuen sich vielleicht, wenn sie eine funktionierende Lösung finden. Wir haben hingegen die Erfahrung gemacht, dass es viele Lösungen gibt – nicht bloß eine wirtschaftliche oder effiziente Optimallösung.“
Das Projekt war ein Erfolg. Die Ingenieure von SBP gingen Kompromisse ein, weil man ihnen die Vision der Architekten in einer frühen Planungsphase vermittelt hatte, und die Architekten fühlten sich nicht von den statischen Sachzwängen eingeschränkt.
Freilich verlaufen interdisziplinäre Kooperationen nicht immer so reibungslos. Angehende Bauingenieure ebenso wie Architekten mit langjähriger Berufserfahrung täten gut daran, sich die Worte des französischen Architekten, Architekturtheoretikers und Denkmalpflegers Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc ins Gedächtnis zu rufen, der bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die symbiotische Abhängigkeit zwischen beiden Berufsgruppen erkannt hatte. (Trotzdem kann ihnen niemand verdenken, dass sie ab und zu die Notwendigkeit verspüren, in einschlägigen Foren Frust abzulassen …)